In den Buchhandlungen von Stockholm werden Anfang Oktober gerne Werke von Haruki Murakami, Margaret Atwood und Anne Carson in die Auslagen und Schaufenster gestellt.
Der Literaturnobelpreis steht an, und wie in jedem Jahr zählen der japanische Autor und die beiden kanadischen Schriftstellerinnen zu den heißesten Anwärterinnen und Anwärtern auf die renommierte Auszeichnung. Ob einer der drei – oder vielleicht ein anderer Dauerfavorit wie der Kenianer Ngugi wa Thiong’o – den Preis diesmal bekommt? Das steht auch in diesem Jahr in den Sternen.
Bislang mussten die Erwähnten anderen Schriftstellerinnen und Schriftstellern stets den Vortritt lassen: Vergangenes Jahr ging der prestigeträchtigste Literaturpreis der Welt etwas überraschend an die US-Poetin Louise Glück, bei der vorherigen Doppel-Vergabe für die Jahre 2018 und 2019 wählte die Schwedische Akademie Olga Tokarczuk und Peter Handke aus – während die Auszeichnung der Polin gelobt wurde, galt die des Österreichers Handke als umstritten. An diesem Donnerstag (7.10.) schaut die Welt nun erneut nach Stockholm, wo die Akademie den Namen des oder der diesjährigen Auserkorenen präsentieren wird.
Setzt sich diesmal also einer der seit Jahren gehandelten Kandidaten durch? Fragt man den Literaturkritiker Denis Scheck, dann hat der zunächst einen anderen Favoriten im Köcher. «Thomas Pynchon wäre der Autor, dem ich den Preis am meisten gönnen würde», sagte Scheck der Deutschen Presse-Agentur in Skandinavien. Der 84 Jahre alte US-Schriftsteller habe mit bedeutenden Werken wie «Gravity’s Rainbow» (Die Enden der Parabel) den größten Beitrag zur Literatur geleistet.
Dann fällt auch bei Scheck ein Name, der immer wieder im Spiel ist: der von Margaret Atwood. Auch Anne Carson sei eine würdige Kandidatin, aber Atwoods Bedeutung halte er für noch überragender, sagt der Literaturexperte. Die Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels von 2017 sei nicht nur eine «wunderbare Essayistin und formvollendete Lyrikerin», sondern habe auch mit ihren Romanen großartige Arbeit geleistet. Wa Thiong’o hätte es laut Scheck auch verdient, der Somalier Nuruddin Farah ebenfalls.
Und ein Preisträger aus Deutschland? «Da möchte ich an Martin Walser erinnern», sagt Scheck. Der Schriftsteller vom Bodensee ist in diesem Jahr stolze 94 Jahre alt geworden. «Er hat natürlich ein titanisches Werk», ist Scheck begeistert. «Walser zu unterschätzen ist immer ein Fehler.» Man müsse sich aber auch immer vor Augen führen, dass große Literaten wie Franz Kafka, James Joyce und Marcel Proust den Preis niemals bekommen haben – obwohl sie ihn alle verdient gehabt hätten.
Die Wettbüros haben sich jedenfalls einmal mehr auf die üblichen Verdächtigen eingeschossen. Derzeit rechnen sie Murakami die besten Chancen aus, knapp dahinter folgen wa Thiong’o, Carson, die Russin Ljudmila Ulitzkaja sowie Atwood und Maryse Condé aus dem französischen Überseegebiet Guadeloupe. Pynchon findet sich dort zumindest im erweiterten Favoritenkreis.
Wer es am Ende wird, bleibt jedoch bis zum Donnerstag streng unter Verschluss. Dann öffnet sich im prunkvollen Börsenhaus in der Stockholmer Altstadt Gamla Stan um Schlag 13.00 Uhr eine schwere Tür, ehe die Schwedische Akademie einen bestimmten Namen nennt.
Nur eines gilt bis dahin als relativ sicher: Die Akademie zeichnet meist nur einen statt mehrere Preisträger für ein jeweiliges Jahr aus. Damit unterscheidet sich die Auszeichnung vom Großteil der anderen Nobelpreise, bei denen oft drei Preisträger auf einmal bestimmt werden, die zum Beispiel gemeinsam zum selben Themenfeld geforscht haben. Gemeinsam hat der literarische Preis mit den anderen Auszeichnungen dagegen, dass er in diesem Jahr wieder mit zehn Millionen schwedischen Kronen (rund 980 000 Euro) dotiert ist – und die Aufmerksamkeit der Welt für einen Augenblick einsaugt wie kaum ein anderer Preis.