Prince hat «Welcome 2 America» vor rund zehn Jahren ins Archiv verbannt. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Dirk Waem/BELGA/dpa)

Seit fünf Jahren ist der Pop-Zauberer Prince nun tot – doch seine faszinierende Geschichte von Genie, Welterfolg und Größenwahn wird wohl nie ganz auserzählt sein.

Das garantiert schon allein der einstige «Tresor» im Studiokomplex und Rückzugsort Paisley Park bei Minneapolis: Der bereits zu Lebzeiten des exzentrischen US-Musikers legendäre Kellerraum «The Vault» soll zahllose unveröffentlichte Aufnahmen enthalten haben, als Prince 2016 starb.

Zwölf davon – ein 2010 komplett mit Band eingespieltes, dann ins Archiv verbanntes Album – haben die bisher seriös vorgehenden Prince-Nachlassverwalter nun herausgebracht. Um es kurz zu machen: «Welcome 2 America» ist eine Offenbarung. Ein großes Fest nicht nur für Millionen immer noch trauernde Langzeitverehrer, sondern auch für Pop-Fans, die Prince vor allem über Hits wie «1999», «Purple Rain», «Kiss» oder «The Most Beautiful Girl In The World» kennen.

Von Kritikern hoch gelobt

Wie der mit nicht einmal 58 Jahren gestorbene Sänger, Songschreiber und Multiinstrumentalist auch hier wieder Soul, Rock, Funk-Jazz und Hip-Hop zu einer ambitionierten (und oft extrem tanzbaren) Mixtur verrührt, ohne dass es klingt wie ungenießbarer Crossover – eine Meisterleistung. Der angesehene Kritiker Alexis Petridis («The Guardian») sprach bereits vom besten Prince-Album seiner beiden letzten Karriere-Jahrzehnte, also seit ungefähr Mitte der 1990er.

Dabei war ein solcher Erfolg angesichts der Entstehungszeit vor gut zehn Jahren nicht unbedingt zu erwarten. Erst im Sommer 2010 hatte Prince das mittelprächtige Album «20Ten» herausgebracht, als Beilage des Magazins «Rolling Stone», quasi unter dem Radar einer breiten Öffentlichkeit.

Schon vier Jahre davor hatte der mit der Pop-Industrie auf Kriegsfuß stehende Musiker, dessen beste Zeiten anscheinend lange zurücklagen, eine Platte provozierend achtlos auf den Markt geworfen – mit einer britischen Boulevardzeitung.

Der Auftakt des lange verschollenen «neuen» Albums, der Titelsong «Welcome 2 America», lässt sofort alle Fehlentscheidungen und Schlampigkeiten dieses begnadeten Musikers vergessen: Ein cooler Bass-Groove, Triangel, Fingerschnipsen, weibliche Soul-Chorstimmen, dann der unnachahmliche Sprechgesang von Prince Rogers Nelson, irgendwann kommt dessen typisch schnarrende Funk-Gitarre hinzu. Nicht nur musikalisch erinnert dieses Stück an seinen vielleicht größten Song überhaupt, das wütende «Sign O‘ The Times» von 1987.

Die Botschaft des Stücks weist Prince abermals als scharfsinnigen Beobachter der bitteren Realitäten in seinem Heimatland aus. Der zynische US-Kapitalismus, Ungleichheit, Rassismus, öffentliche Lügen, die unsozialen Medien – all das klingt an. Eine Textzeile lautet «Land of the free, home of the slaves» (Land der freien Menschen, Heimat der Sklaven). Willkommen in Amerika.

Dieser Prince-Song trieft vor Sarkasmus zu einer Zeit, als die USA einen Präsidenten Donald Trump nicht einmal erahnten. «Die Welt ist voller Desinformation. George Orwells Vision der Zukunft ist schon da», sagte Prince 2010, wohl in Anspielung auf den dystopischen Roman «1984».

Auch später hört man Gesellschaftskritik in den musikalisch sehr abwechslungsreichen, zugänglichen Liedern – und muss manchmal an die wichtigen Polit-Soul-Alben der 70er von Curtis Mayfield, Marvin Gaye oder Sly Stone denken («One Day We Will All B Free»). Aber selbst einen erotisch aufgeladenen Falsett-Schmachtfetzen wie «When She Comes» hat der körperlich kleine Pop-Gigant wieder im Angebot. Bei den Groove-Granaten «Check The Record» und «Same Page, Different Book» dürfte kein Funk-Fan still sitzen bleiben.

Etwas schwächer fallen die eher simplen Poprock-Stücke «Hot Summer» und «1010 (Rin Tin Tin)» aus. Das Soul-Asylum-Cover «Stand Up And B Strong» beginnt ebenfalls recht unscheinbar als dezente Hommage an «Every Breath You Take» von The Police, kriegt aber die Kurve Richtung Gospel-Bombast – und wird doch noch großartig.

Nach dem Klavier/Gesang-Solo «Piano & A Microphone 1983», dem ersten posthum veröffentlichten Studioalbum (2018), erschien «Originals» (2019) – eine fabelhafte Zusammenstellung der Originalversionen von 15 Songs, die Prince einst anderen Künstlern zur Verfügung gestellt hatte. Außerdem wurden das Live-Album «Up All Nite With Prince» und enorm erweiterte Editionen seiner ikonischen 80er-Jahre-Platten «1999» und «Sign O‘ The Times» herausgebracht.

Praktisch brandneu

Aber keiner dieser nachträglichen Einblicke in ein bahnbrechendes Werk begeistert so wie das praktisch brandneue «Welcome 2 America» aus den Tiefen eines Prince-Tresors, der sicher noch viel mehr spannendes Material enthält. Dies hatte Nachlasskurator Michael Howe schon vor zwei Jahren im «Spiegel» angedeutet.

Zu den Gründen für Nichtveröffentlichungen fertiger Studioalben sagte er damals: «Man kann Prince zwar als wankelmütig bezeichnen, aber er hatte eine extrem klare künstlerische Vision. Und wenn man das in Betracht zieht, dann passten die jeweils versenkten Songs wohl gerade nicht zu seinen derzeitigen Plänen.»

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