Er hetzt gegen Ausländer, wettert gegen sogenannte Systemparteien, pocht auf ein Europa der patriotischen Nationen und will kämpfen, «bis Deutschland wieder uns gehört».
Der charismatische und attraktive Jungpolitiker Rudolf Peters hat bei der jüngsten Landtagswahl mit 37 Prozent die Mehrheit der Wählerstimmen für seine rechtsnationale Partei geholt. Es kommt zu einer Koalition mit der CDU. Und auch der Griff nach der Macht im Bund ist nicht mehr in weiter Ferne. Eine Handvoll Schüler steht vor der Frage: Was tun?
Als ein «Zeitstück» will Bernhard Schlink sein erstes Theaterstück verstanden wissen. Der Jurist und Schriftsteller baut im Drama «20. Juli» ein politisches Szenario auf, das mit Blick auf aktuelle Umfragehochs für rechtspopulistische Ideen in einigen Bundesländern nicht aus der Luft gegriffen ist. Das arbeitet der Autor zwar fein heraus, doch hätte er sich besser auch bei den Figuren mehr Mühe gegeben!
In Schlinks Stück debattieren fünf Abiturienten darüber, was der Wahlerfolg der Rechten für sie bedeutet – und ihnen womöglich abverlangt. Esther, Fabian, Maria, Niklas und Paul sitzen am 20. Juli zusammen mit Geschichtslehrer Gertz in ihrer allerletzten Unterrichtsstunde – just an jenem Tag, an dem sich das berühmte Attentat auf Hitler erneut jährt. Es geht um Mut und Verantwortung des Einzelnen gegenüber sich selbst und gegenüber der Gesellschaft.
Über sogenannte «Lichtgestalten des Widerstands» im Dritten Reich wie Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder Georg Elser fragen die Schüler: «Was haben sie erreicht? Nichts. Von ihnen lernen? Loser werden wie sie?» Keines der Hitler-Attentate war bekanntermaßen von Erfolg gekrönt. Einem Deutschland, das sein Staatsverständnis auf jene «Lichtgestalten» bezieht, erteilen die Fünf eine Absage. «Er findet sich schon mutig, wenn er vom Schoß redet, der noch fruchtbar ist», tuschelt Fabian über Lehrer Gertz.
Die Alternative? Den rechtsextremen Peters beseitigen. «Wir wollen heute machen, was man 1931 nicht gemacht hat», sagt Paul. Damals hätte man, so Esther, Hitler erschießen müssen – weil man schon gewusst habe, was er dachte «über Juden und Slawen, Blut und Boden, Deutschlands Lebensraum, Aufrüstung und Krieg». Im dritten Akt – in der klassischen Tragödie reserviert für den dramaturgischen Höhepunkt – verständigen sich die Schüler darauf, Peters aus dem Weg zu räumen: «Wir müssen rausfinden, wo er wohnt, wo er joggt, in welchen Restaurants er isst (…), einfach alles.»
Schlink, der schon in seinem Weltbestseller «Der Vorleser» Fragen von Schuld und Verantwortung im Dritten Reich aufwarf, geht es in «20. Juli» nicht vorrangig um die Mechanismen von Populismus. Er stellt vielmehr die brisante Frage zur Diskussion: Gibt es eine moralische Pflicht zu handeln, wenn die Demokratie auf dem Spiel steht?
Was man dem 76-jährigen Autoren dabei aber massiv vorwerfen muss: seine arg hölzerne Sprache. Was beim bösartigen Zynismus von Rechtsextremist Peters noch funktioniert, lässt einen bei den Schülern hingegen vollends ratlos zurück. Da ist keinerlei jugendliches, sondern viel überhebliches und neunmalkluges Herumgefloskel. An die Stelle von Charisma und Herz tritt das pseudointellektuelle Gehabe einer gesichtslosen Wohlstandsgeneration. Schlink hätte zudem besser auch das Klischee links liegen lassen, Esther ein Tête-à-Tête mit dem Lehrer in die Biografie zu dengeln.
Am Ende werden die Schüler von einer realen Katastrophe eingeholt. Bis dahin müssen sie sich und mit ihnen das Publikum über das eigene Verständnis demokratischer Regeln klar werden. Mit «20. Juli» erweitert Schlink das Denken über die heutige Zeit, in der sich durch das harte Aufeinanderprallen politischer Kräfte eine Zäsur andeutet. Er nennt keine Namen, die Zielrichtung aber ist klar. Trotz stilistischer Mankos wird das Stück sicherlich seinen Weg auf die Bühnen und in den Unterricht finden.
Bernhard Schlink: «20. Juli. Ein Zeitstück», Diogenes, 96 S., 13,99 Euro, ISBN 978-3-257-61179-3