Buchmessen-Chef Juergen Boos (l-r), die britische Sachbuchautorin Gaia Vince und Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Arne Dedert/dpa)

In Zeiten von Krieg und Krisen kommt die internationale Literaturbranche zur 75. Frankfurter Buchmesse zusammen. Welche politischen Debatten stehen im Vordergrund? Wie geht es der Branche im Jubiläumsjahr? Welche Herausforderungen bringen neue Technologien wie Künstliche Intelligenz? Und was bringt das Gastland Slowenien mit zur weltgrößten Bücherschau?

Terror im Jubiläumsjahr

Der Konflikt im Nahen Osten ist ein großes Thema auf der Buchmesse. Seit 75 Jahren sei Frankfurt «ein Marktplatz der Worte, der Schriften und der Lesarten zum demokratischen Austausch und des wechselseitigen Verständnisses», sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Der Angriff auf Frauen, Männer und Kinder in Israel sei «ein Angriff auf die Menschlichkeit. Wir verurteilen diesen Terror zutiefst und stehen in voller Trauer und Schmerz an der Seite Israels.» Buchmessen-Direktor Juergen Boos verurteilte den Angriff der Hamas auf Israel: «Unser Mitgefühl gilt den Menschen, deren Angehörige Opfer dieses Gewaltexzesses wurden, und allen Menschen in Israel und Palästina, die unter dem Krieg leiden.» Für Diskussionen sorgte gleich zu Messebeginn die umstrittene Verschiebung einer Ehrung an die palästinensische Autorin Adania Shibli.

Tumult bei der Eröffnung

Bei der Eröffnungsfeier am Dienstagabend kam es bei diesem Thema zu Tumulten. Der slowenische Philosophen Slavoj Zizek sagte in seiner Rede, er verurteile – ebenso wie alle seine Vorredner – die terroristischen Angriffe der Hamas auf die israelische Bevölkerung. Er betonte aber, man müsse auch den Palästinensern zuhören und deren Hintergrund beachten, wenn man den Konflikt verstehen will.

Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker widersprach Zizek lautstark und verließ zeitweilig den Saal, ebenso wie einige weitere Gäste. Becker warf Zizek vor, die Verbrechen der Hamas zu relativieren. Buchmessendirektor Jurgen Boos war hörbar angefasst. Er sei dankbar für den Widerspruch aus dem Publikum, aber er sei auch froh, dass man die Rede habe zu Ende hören können. «Es ist wichtig, dass wir uns zuhören.»

Die Lage der Buchbranche

Neben politischen Themen wird es auch um die Buchbranche selbst gehen. Immer mehr Verlage kommen wirtschaftlich an ihre Grenzen, sagt die Vorsteherin des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs. Zwar sei der Umsatz in den ersten neun Monaten dieses Jahres um vier Prozent gestiegen, es seien aber 1,1 Prozent weniger Bücher verkauft worden als im Vorjahreszeitraum und 7,4 Prozent weniger als vor der Pandemie.

Gerade die kleinen, unabhängigen Verlage seien wichtig für die Vielfalt des Buchmarktes. «Politik und Gesellschaft müssen sich fragen: Was ist uns eine vielfältige Buchbranche wert?» Der Börsenverein fordert daher «eine strukturelle Verlagsförderung». Aber gute Literatur brauche auch «Sichtbarkeit», daher dürften Literatursendungen nicht aus den Programmen der TV- und Radiosender verschwinden.

Ehrengast Slowenien

Der ungewöhnlichste Anblick im Gastland-Pavillon ist der Ausblick. Fast alle Ehrengastländer bisher hatten die riesige Fensterfront zum Innenhof geschlossen – die Slowenen lassen die Außenwelt herein. Die Präsentation selbst wirkt ein bisschen verloren. Lange Regalreihen präsentieren Bücher aus und über Slowenien. Gestapelte Schaumstoffblocke laden zum Sitzen ein. Um einen angenehmen Duft zu erzeugen, wachsen aus dem Schaumstoff echte Rosmarin-Stöcke. «Wir wollen, dass Sie lesen», sagte Katja Stergar, die Direktorin der slowenischen Buchagentur, «und Sie sollen es genießen.»

Einige der bekannteren slowenischen Autoren werden gesondert präsentiert, etwa die Kinderbuchautorin Helena Kraljic, bei deren Station man schaukeln kann. Auf Bildschirmen schreibt eine Künstliche Intelligenz im Auftrag von Vuk Cosic Sonette. Unter der Decke hängen Wolken aus Spitze, die die Künstlerin Eva Petric hergestellt hat. Die Einzelteile stammen teils aus der ältesten Spitzenmanufaktur der Welt in Slowenien, andere hat Petric in aller Welt gesammelt, um sie «zu einem Kunstwerk zu vereinen, das die Kulturen verbindet».

Politik und KI im Fokus

In Zeiten von Krisen, Krieg und Klimawandel wollen die Messemacher die drängendsten Themen aus Politik und Gesellschaft in den Fokus rücken. Kurzfristig eingeschoben wurde am Mittwoch eine Podiumsdiskussion mit dem Thema «In Sorge um Israel». Danach geht es politisch weiter mit der Veranstaltung «Hoffnung für Russland – Irgendwer, irgendwie, irgendwann?»

Auch die Klima-Aktivistin und Mitgründerin der «Letzten Generation», Lea Bonasera, ist in Frankfurt zu Gast. Erwartet werden zudem die ehemalige Femen-Aktivistin Zana Ramadani und die Expertin für Künstliche Intelligenz (KI), Mina Saidze. Chat GPT und andere Systeme werden viele Gespräche auf den Gängen und Podien dieser Messe prägen. Dabei geht es unter anderem um Fragen des Urheberrechts. «Alles, was eine KI im Moment textet und gestaltet», sagt Börsenvereinsvorsteherin Schmidt-Friderichs, tue sie auf Basis von «Datendiebstahl».

Höchste Sicherheitsstufe für Superstar Rushdie

Zum Wochenende wird der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie auf der Buchmesse erwartet. Dann herrscht höchste Sicherheitsstufe. Der 76-Jährige, der im vergangenen Sommer bei einem Attentat schwer verletzt wurde, bekommt am Sonntag in der Paulskirche den Friedenspreis verliehen. Er erhalte die Auszeichnung «für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und zuallererst dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt verbessert», sagt Schmidt-Friderichs.

Das Attentat im vergangenen Sommer kam mehr als 30 Jahre, nachdem der frühere Revolutionsführer im Iran, Ayatollah Chomeini, wegen Rushdies Roman «Die satanischen Verse» 1989 per Fatwa zur Ermordung des Autors aufgerufen hatte. Rushdie schreibt inzwischen an einem Buch über den Angriff.

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