Warten auf «Barbie»: Wie Russland Filmsanktionen umgeht
Ein Kino in einem Moskauer Einkaufszentrum: Was steht auf dem Programm? (Urheber/Quelle/Verbreiter: Hannah Wagner/dpa)

Die Kassen sind leer an diesem frühen Nachmittag in den Kinos im berühmten Moskauer Einkaufszentrum «Jewropejski». Es dürfte an der Uhrzeit liegen – aber möglicherweise auch an der Filmauswahl, die den Besuchern dort geboten wird. Es laufen unter anderem mehrere russische Produktionen, ein koreanischer Actionfilm und ein chinesischer Thriller. Dann immerhin noch das Drama «Jeanne du Barry» von Johnny Depp, das vor einigen Wochen bei den Filmfestspielen in Cannes Premiere feierte, und der britische Gruselfilm «The Queen Mary». Was fehlt, sind die großen internationalen Hits dieses Sommers: «Barbie» und «Oppenheimer».

Wegen Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine haben sich Anfang vergangenen Jahres westliche Filmriesen wie Universal Pictures, Warner Bros. und Walt Disney Pictures aus dem größten Land der Erde zurückgezogen. Ihre Filme dürfen nun – zumindest offiziell – nicht mehr auf russischen Leinwänden gezeigt werden.

Die Sanktionen stürzten Russlands Kinobranche, die stark abhängig war von westlichen Produktionen, in eine schwere Krise. Im ersten Kriegsjahr 2022 erlitten die größten russischen Kinoketten Verluste in Milliardenhöhe, ihre Einnahmen brachen um knapp die Hälfte ein. Von landesweit rund 5700 Kinosälen schlossen mehr als 2300.

Sanktions-Schlupflöcher

An den verbliebenen Standorten wurden nun vermehrt russische Filme sowie recycelte internationale Klassiker gezeigt – und das kam nicht bei allen gut an. Mit Blick auf die Möglichkeit, dass viele Neuerscheinungen zumindest nach kurzer Zeit recht einfach im Internet zu finden sind, fragte etwa die Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta» damals ernüchtert: «Warum soll man überhaupt ins Kino gehen, wo entweder eine neue russische Premiere gezeigt wird oder ein 30 Jahre alter Klassiker (…), wenn man zuhause „Batman“, „Doctor Strange“ und „Phantastische Tierwesen“ sehen kann?»

Doch dann, in der ersten Hälfte dieses Jahres, erholte sich die Branche wieder ein wenig – und das hat Beobachtern zufolge auch damit zu tun, dass zunehmend Sanktions-Schlupflöcher gefunden wurden. Zwar gibt es durchaus Kinoketten, die konsequent keine Hollywood-Streifen mehr zeigen. Doch viele russische Filmspielhäuser greifen nun auf eine Praxis zurück, die ihnen schon durch die chaotischen 1990er Jahre half: Sie zeigen illegale Raubkopien westlicher Filme.

Für die Umsetzung bedienen sie sich dabei einer rechtlichen Grauzone, weshalb im Russischen auch vom «grauen Filmverleih» die Rede ist. So ist einer Recherche des Portals «Medusa» zufolge in vielen Regionen die sogenannte Vorabvorführung wieder in Mode gekommen, die in Russland lange Tradition hat. Dahinter steckt folgendes Konzept: Im offiziellen Programm eines Kinobetreibers steht ein russischer Kurzfilm. Die Besucher kaufen Tickets – wohlwissend jedoch, dass nach dem Mini-Clip ein raubkopierter westlicher Blockbuster gezeigt wird.

Verstöße gegen internationale Urheberschaftskonventionen

Auf diesem Weg spielte der «Medusa»-Recherche zufolge etwa der russische Kurzfilm «Kommentator» im vergangenen Jahr offiziellen Angaben zufolge 423 Millionen Rubel (knapp vier Millionen Euro) ein – obwohl man ihn auch kostenfrei auf Youtube gucken kann. Im Anschluss an «Kommentator» wurden demnach nämlich entweder der neue «Black Panther»-Film oder «Avatar» gezeigt. Mit dieser Praxis verletzen die Betreiber zwar internationale Urheberschaftskonventionen, vor dem russischen Recht aber kommen sie damit in der Regel durch.

Doch ausgerechnet beim internationalen Erfolgsfilm «Barbie» gibt es aus Sicht des russischen Publikums nun offenbar ein neues Problem. Er dürfte frühestens im Herbst über die russischen Kinoleinwände flimmern, wie ein anonymer Informant der Zeitung «Wedomosti» sagte.

Hintergrund ist demnach, dass vor einiger Zeit Verkaufs- und Lieferwege für raubkopierte Kino-Fassungen aufflogen, weshalb der Schwarzmarkt nun auf Online-Versionen von Filmen zurückgreifen muss. Die aber erscheinen erst nach der internationalen Kinopremiere – und je nachdem, wie lange ein Film an den Kinokassen gutes Geld einspielt, kann das recht lange dauern. Heißt: Im Falle eines Verkaufsschlagers wie «Barbie», der kürzlich die Einnahmen-Marke von einer Milliarde US-Dollar knackte, dürfte mit einer baldigen Veröffentlichung auf Streaming-Plattformen nicht zu rechnen sein – und damit auch nicht mit dem Einzug in russische Kinos.

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