Die Bayreuther Festspiele erschließen neuen Welten. Am 25. Juli startet das Opern-Event auf dem Grünen Hügel mit einer Inszenierung, die es so noch nicht gegeben hat: Der neue «Parsifal» kommt als Augmented-Reality-Version auf die Bühne.
Der US-Amerikaner Jay Scheib, Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), erzählt die Geschichte der Richard-Wagner-Oper um die Gralsritter und den «reinen Toren» Parisfal mit virtuellen Elementen, die das Geschehen auf der Bühne ergänzen sollen. Sichtbar werden diese mit speziellen AR-Brillen, von denen es aber nur 330 für knapp 2000 Zuschauer gibt.
«Geplant war das Projekt mit 2000 Brillen, infolge eines Wechsels in der kaufmännischen Geschäftsführung ließen sich dann letztendlich 330 Brillen realisieren», sagt Festspiel-Chefin Katharina Wagner im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Die Nachfrage nach den AR-Brillen war deutlich höher, also auch unser Publikum ist neugierig.»
Dass es nicht für jeden Brillen gibt, liegt vor allem daran, dass die ziemlich teuer sind. «Vielleicht finden wir ja einen Sponsor und können es ausbauen», sagt Regisseur Scheib, der schon 2021 für das Projekt «Sei Siegfried» auf dem Grünen Hügel den Drachen virtuell fliegen ließ. «Innovation hat nun mal ihren Preis.»
Wagner für Jüngere
Der teils virtuelle «Parsifal» ist das wohl größte Augmented-Reality-Projekt an einer deutschen Bühne – und eins, das Signalwirkung haben könnte, weil es nunmal Bayreuth ist.
Aus Sicht von Ulrike Kolter, Chefredakteurin des Theatermagazins «Die Deutsche Bühne», fügt sich das Projekt gut ein in die jüngeren Entwicklungen auf dem Grünen Hügel: «Das Ganze passt natürlich zu der Richtung, die Katharina Wagner seit ein paar Jahren eingeschlagen hat, um das Haus zukunftsfähig aufzustellen und auch ein jüngeres Publikum zu erschließen.»
Das versuchen die Festspiele, die in diesem Jahr von besonders vielen Sänger-Ausfällen getroffen wurden, auch mit einem Open Air am Vorabend der großen Eröffnung, seit Jahren mit Kinderopern und in diesem Jahr auch noch mit dem Angebot «Wagner für Anfänger» – günstigeren Tickets für junge Leute.
Auch die als «Netflix-Ring» bekannt gewordene und nach ihrer Premiere im vergangenen Jahr sehr umstrittene Neuproduktion «Der Ring des Nibelungen» des jungen österreichischen Regisseurs Valentin Schwarz weist in eine neue Richtung – zum Unmut vieler alteingesessener Wagnerianer und mit zumindest zunächst noch überschaubarem Erfolg.
Werden die Festspiele weiblicher?
Eine Woche vor dem Start der Festspiele gab es noch für jeden der vierteiligen «Ring»-Zyklen Karten und auch für die einzelnen Opern. Dass «Rheingold», «Walküre», «Siegfried» und «Götterdämmerung» überhaupt einzeln gekauft werden können, ist ein Novum in der Festspielgeschichte und untrügliches Anzeichen dafür, dass sich einiges ändert auf dem Hügel – und wohl auch ändern muss.
Denn diejenigen, die seit Jahrzehnten regelmäßig zur Verehrung Richard Wagners (1813-1883) nach Bayreuth pilgern und Hunderte Euro für ein Ticket bezahlen wollen, werden Jahr um Jahr weniger. Dass nun der Nimbus der Exklusivität wackelt, kann auch eine Chance sein, ein neues Publikum zu erschließen von Menschen, denen diese Exklusivität bislang suspekt erschien.
Richard Wagners Urenkelin Katharina Wagner, von der noch nicht klar ist, ob sie über 2025 hinaus Festspiel-Chefin bleiben will und soll, setzt inzwischen auf jüngere Leute – und mehr Weiblichkeit. Nach Oksana Lyniv ist Nathalie Stutzmann in diesem Jahr die erst zweite Frau am Bayreuther Dirigentenpult. Mit Joana Mallwitz gibt es Gespräche für ein Engagement zum Festspiel-Jubiläum 2026, bei dem – ein weiteres Novum – auch Wagners «Rienzi» auf dem Spielplan stehen soll.
Weniger Geld für Wagner?
Vieles ist also neu – dafür fehlt in diesem Jahr ein Urgestein: Erstmals seit einem Vierteljahrhundert ist Dirigent Christian Thielemann nicht dabei. «Mit Christian Thielemann hatten ja bereits ganz konkrete Gespräche über Dirigate stattgefunden, diese musste er aufgrund anderweitiger Verpflichtungen in Dresden und Salzburg aber absagen», sagt Wagner. Und: «Wir sind mit den aktuellen und zukünftigen musikalischen Leiter:innen sehr gut aufgestellt.»
Die Festspiele enden in diesem Jahr am 28. August mit Tobias Kratzers gefeiertem «Tannhäuser». Spätestens wenn da der letzte Vorhang gefallen ist, wird sie dann mit noch mehr Nachdruck gestellt werden: die Frage, wie es weitergeht in Bayreuth. Denn nicht nur über die Vertragsverlängerung von Wagner muss entschieden werden, auch über die künftige Struktur der Festspiele insgesamt.
Denn der Mäzenenverein der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth hat angekündigt, künftig nicht mehr so viel für das Opernspektakel zahlen zu können.
Was das bedeutet, soll voraussichtlich von diesem Herbst an – ebenso wie die Vertragsverlängerung Wagners – in den entsprechenden Gremien behandelt werden.
Forderung aus der Politik
Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) forderte im «Nordbayerischen Kurier» Reformen. «Ich sage ganz deutlich: Da muss es Veränderungen geben. Selbst ein noch so renommiertes Festival hat an manchen Stellen mit der Zeit zu gehen, wenn es auf Dauer erfolgreich sein will», sagte er in dem Zeitungsinterview. Auch Wagner hatte Reformen und eine neue Struktur gefordert.
«Ich kann mir die Festspiele auch in Zukunft mit Katharina Wagner an der künstlerischen Spitze sehr gut vorstellen, aber es muss ein gemeinsames Verständnis über zukunftsfähige Strukturen am Grünen Hügel geben», sagte Blume. «Für mich gehören Bayreuth und Wagner sehr stark zusammen.»