Eine Frisur wie ein Vogelnest: Robert Smith von The Cure in Hamburg. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Daniel Bockwoldt/dpa)

Vor dem Auftritt der britischen Rockband The Cure läuft der Sound von strömendem Regen über die Arena-Lautsprecher. Es ist ein düsterer, herbstlicher Klang, der mit beunruhigender Beharrlichkeit die Tristesse der Jahreszeit in der ausverkauften Barclays-Arena heraufbeschwört.

Einen Augenblick später erhellt das tosende Blitzlichtgewitter der Scheinwerfer die Bühne, wie zum Beginn eines Sturms – und dann stehen auch schon die Altmeister des melancholischen Gothic-Rocks auf der Bühne.

In quälender Langsamkeit arbeitet sich Kult-Rocker Robert Smith, der selbst aus der letzten Reihe noch an seiner weiß geschminkten Gesichtshaut und den zerzausten Haaren, die eher einem Vogelnest als einer Frisur gleichen, zu erkennen ist, am Rande der Bühne entlang. Als der Sänger, der mit seiner exzentrischen Erscheinung den typisch-gruftigen Look der Band maßgeblich geprägt hat, dann zum Mikrofon greift, ist das Versprechen eindeutig: es soll ein Abend voller traurig-düsterer Musik-Meilensteine werden, die den Sound einer ganzen Generation geprägt haben.

Umso überraschender ist es dann, dass das erste Lied an dem Abend ausgerechnet ein bislang unveröffentlichter Song ist. Mit «Alone» gibt die Band einen Vorgeschmack auf das, was Robert Smith schon Anfang des Jahres versprochen hatte: ein neues Album, das eigentlich vor Beginn der Europatour erscheinen und «Songs of a Lost World» heißen sollte. Das Album, laut Smith das «Düsterste», das die Band je gemacht habe, lässt zwar noch immer auf sich warten – aber der Song stimmt mit seinen zart-düsteren Klängen auf das ein, was die Fans seit dem letzten Album «4:13 Dream» vor gut 14 Jahren herbeisehnen.

Dabei stellt sich im weiteren Verlauf des Abends jedoch die Frage, ob die Fans eine neue Platte der legendären Goth-Rocker überhaupt brauchen. Schließlich ist ein Großteil von ihnen vor allem für die Lieder gekommen, die in den 80er- und 90er-Jahren ihre Jugend geprägt haben: Klassiker wie «Pictures Of You», «Lullaby» oder «Friday I’m in Love», die eine Zeit beschwören, in der sie mit spielerischer Leichtigkeit mit dick aufgetragenem Kajal und Lippenstift ihre Eltern zur Weißglut getrieben haben. Und es sind genau diese Songs, zu denen am Abend am ausgelassensten getanzt und gestampft wird.

Bei all der Bewunderung und kompromisslosen Liebe für das künstlerische Schaffenswerk von The Cure beweisen die knapp 13 000 Fans in Hamburg dann aber doch, dass sie auch nach über vier Jahrzehnten Bandgeschichte immer noch nicht genug von neuen musikalischen Ergüssen ihrer Rock-Idole bekommen können. So leuchten beim sechsten Song «Nothing is Forever», ebenfalls einer Neuheit im Repertoire der Band, Hunderte Smartphone-Lampen im Takt der trist-romantischen Rockhymne.

Ebenfalls neu ist an dem Abend ein Gesicht auf der Bühne, das alteingesessenen Fans jedoch aus früheren Zeiten noch bekannt sein dürfte: Zum ersten Mal nach über 17 Jahren spielt Keyboarder und Gitarrist Perry Bamonte wieder Seite an Seite mit seinen Bandkollegen. Berichten zufolge hatte er 2005 The Cure verlassen, weil Frontmann Robert Smith die Gruppe auf ein Trio hatte verkleinern wollen.

Zusammen mit ihrem alten Weggefährten spielt sich die Band dann durch eine Setliste, die mit Ausnahme von drei Neuheiten einem Spiegelbild ihrer musikalischen Entwicklung über die Jahre gleicht. Zu Beginn dominieren vor allem die traurig-düsteren, teils auch apokalyptisch anmutenden Hymnen der Band wie «Closedown» oder «Cold», während zum Ende hin immer mehr die mit starken Popelementen angereicherten und kommerziell erfolgreicheren Hits wie «Friday I’m In Love» oder «Boys Don’t Cry» einen rockig-optimistischen Gegenpol bilden.

Nach zwei Zugaben und insgesamt 27 Songs ist dann Schluss. Ohne Anzeichen von Erschöpfung entschweben die Rock-Legenden, angeführt von ihrer treibenden Kraft Robert Smith, in den Backstage-Bereich. Der ganze Abend ist ein Zeugnis ihrer ungebrochenen musikalischen Relevanz, vor der sich Künstlerinnen und Künstler seit Jahrzehnten verneigen und die heutzutage kaum noch zu erreichen scheint. So haben selbst erfolgreiche Künstler wie Felix Kummer von Kraftklub schon vor Jahren mit gewissem Wehmut feststellen müssen: «Ich bin nicht Robert Smith – und wir sind nicht The Cure».

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