Kinder gehen in die Sommerferien, der Bundestag hat über längere Zeit keine Sitzungen und Polit-Talkshows im Fernsehen pausieren über Wochen.
Die TV-Sommerpause gibt es schon Jahrzehnte – sie hält sich bis heute. Sogar in diesem Jahr: wenige Monate vor der Bundestagswahl und inmitten einer Pandemie. Bleibt die Tradition?
Bei der ARD sind die Talk-Klassiker «Anne Will», «Hart aber fair» und «Maischberger – Die Woche» schon für mehrere Wochen in Sommerpause. «Maybrit Illner» im ZDF folgt Mitte Juli und «Markus Lanz» Anfang August. Auffällig: Anders als bei anderen Sendungen ist der Lanz-Talk lediglich für zwei Wochen nicht zu sehen.
Der Produzent und Chefredakteur des Lanz-Talkformats, Markus Heidemanns, sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir haben von uns aus angeboten, auf die Sommerpause zu verzichten.» Mit Blick auf Corona und den Bundestagswahlkampf. Das ZDF habe die Sommerpause dann von vier auf zwei Wochen verkürzt, ergänzte Heidemanns. Das ZDF spricht seinerseits auch von einer Verkürzung der Lanz-Pause.
Der Chefredakteur des «Süddeutsche Zeitung Magazins», Timm Klotzek, fragte vor kurzem auf Twitter, warum Fernsehsendungen eigentlich in mehrmonatige Sommerpausen gehen – «werden die TV-Leute alle bei der Feldarbeit gebraucht oder jobben sie Jahr für Jahr in Surfschulen und Eisdielen?» Talkshow-Moderatorin Anne Will konterte prompt und schrieb unter seinen Beitrag, dass «wir nur einen Auftrag für eine begrenzte Zahl an Sendungen haben».
Bröckelt eine Tradition?
Bei ihrer Redaktion nachgefragt, erläuterte eine Sprecherin: «Der NDR hat WILL MEDIA mit einer bestimmten Anzahl an Sendungen pro Jahr beauftragt, die es gilt, möglichst sinnvoll über das Jahr zu verteilen.» So pausierten die politischen Diskussionssendungen in den Sommermonaten, «also in einer Zeit, wenn Publikum und das Parlament größtenteils urlauben». Oder wenn sportliche Großveranstaltungen das Programm bestimmten. Zurzeit läuft die Fußball-Europameisterschaft. Die Sprecherin betonte zugleich: «Dennoch: Wir stehen bereit und senden selbstverständlich gern, wenn man uns beauftragt.»
Inmitten der Sommerpause-Tradition gehen Medienhäuser neue Wege. Sonntagabends wird «Bild» auch über den kompletten Sommer das noch vergleichsweise junge und eigenproduzierte Live-Polit-Talkformat «Die richtigen Fragen» im Netz präsentieren, wie ein Sprecher bestätigte.
Das ZDF teilte auf die Frage, warum es für einige Sendungen überhaupt eine Sommerpause gibt, mit: «Sommerpausen können aus organisatorischen und inhaltlichen Gründen bestehen. In der Regel werden Sommerpausen bei Sendungen vorgesehen, die ganzjährig mit gleichem Team vor und hinter der Kamera arbeiten.»
Lanz-Produzent Heidemanns führt die Tradition auch hierauf zurück: Viele der potenziellen Talkshow-Gäste seien selbst im Urlaub, dadurch sei der Zugriff begrenzt. Der Bundestag mache auch eine Pause. Und im Sommer gebe es auch immer wieder Themenlöcher.
Die Medienwissenschaftlerin Joan Bleicher von der Uni Hamburg spricht bei der Sommerpause von einer nach wie vor aktuellen Praxis. Sie führt dazu unter anderem an, dass der Rundfunkbeitrag aus Sicht der öffentlich-rechtlichen Sender nicht in der notwendigen Höhe gesteigert wurde. Das Erste teilte auf die Frage nach möglichen Einsparungen durch eine Sommerpause mit: «Ein Spargedanke steckt nicht dahinter, wenn wir im Sommer andere Schwerpunkte setzen.» Die Rechte für aktuellen Spitzensport sowie Lizenzen für internationale Kinofilme beziehungsweise die Produktion aufwendiger Dokus seien keineswegs günstiger.
Die «Mediengruppe Münchner Merkur tz» (Donnerstag) fragte ARD-Chefredakteur Oliver Köhr, ob es angemessen sei, dass es im Wahljahr wochenlang keinen einzigen ARD-Polittalk gebe: «Die abendlichen Gesprächsrunden gehen zeitversetzt in die Sommerpause. Etwa sechs Wochen sind – Stand jetzt – „Anne Will“, „Hart aber fair“ und „Maischberger – Die Woche“ nicht eingeplant. Die Redaktionen sind aber jederzeit in der Lage, flexibel auf die aktuelle Lage zu reagieren.» Köhr betonte auch, dass in der Zwischenzeit «Bericht aus Berlin» und Sommerinterviews zu sehen seien. Der «Presseclub» pausiere gar nicht. Zudem gebe es Sondersendungen über den Bundestagswahlkampf.
Ähnlich geht das ZDF vor. Die Unterbrechung von «Maybrit Illner» nutze man etwa für das neue Format «Für & Wider – Die ZDF-Wahlduelle».
Weniger Zeit vor dem Fernseher
Im Sommer verbringen die Deutschen nicht so viel Zeit vor dem Fernseher als in anderen Jahreszeiten, wie die AGF Videoforschung feststellt. Die Vorsitzende der Geschäftsführung, Kerstin Niederauer-Kopf, sagte der dpa: «In den Wintermonaten, insbesondere im Januar und Februar, liegt der TV-Konsum besonders hoch.» Werden das Wetter besser und die Tage länger, sinke die TV-Nutzung und damit die durchschnittliche Sehdauer pro Tag. «Dieser Effekt zeigt sich am deutlichsten während der Sommerferien in den Monaten Juni, Juli und August.»
Bei den privaten Senderunternehmen Mediengruppe RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 gibt es nach eigenen Angaben die klassische Sommerpause nicht mehr. Von RTL heißt es: «Die Etablierung einer eigenen TV-Season stammt aus einer Zeit, in der man noch stark auf amerikanische Lizenzproduktionen gesetzt hat und Produktionspausen auch hierzulande im Sommer mit Wiederholungen überbrückt wurden. So ist das schon seit einigen Jahren nicht mehr.»