DIe Rolle des Schurken Santer in «Winnetou I» ist eine der bekanntesten Rollen von Mario Adorf. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Den Bösewicht spielte Mario Adorf oft und gern. Er überzeugte in großen Filmen, an der Seite internationaler Stars und gab einst gar Regisseur Billy Wilder einen Korb. Eine seiner bekanntesten Rollen ist aber ausgerechnet eine, die er eigentlich gar nicht spielen wollte: die des Schurken Santer in «Winnetou I». Von der Karl-May-Verfilmung aus dem Jahr 1963 gibt es nun – 60 Jahre später – eine restaurierte Neufassung in 4K-Ultra-HD-Qualität.

Aus diesem Anlass hat der 93-Jährige zum Interview in seine Münchner Wohnung geladen. Als er die Türe öffnet, wirkt er fit und bittet den Gast freundlich herein. Adorf nimmt sich Zeit. Entspannt sitzt er am Tisch. «Ich habe es nicht eilig», sagt er. Und so wird das Gespräch zu einer Zeitreise durch ein bewegtes Leben.

In München hat der Schauspieler seinen Hauptwohnsitz, da fühlt er sich wohl, wie er sagt. Viel Zeit verbringt er auch in St. Tropez, der Heimatstadt seiner Frau Monique, und in Paris. Selbst im hohen Alter ist der Grandseigneur der Films weltläufig geblieben.

Zur Rolle überreden lassen

Nun, dass es ausgerechnet der Santer ist, auf den er seit Jahrzehnten immer wieder angesprochen wird, amüsiert ihn. Empörte Fans hätten ihn einst beschimpft, weil er Winnetous Schwester erschoss. Sätze wie «Ich hasse Sie, weil Sie Nscho-tschi erschossen haben» und «Ich hasse Sie für diesen Mord» habe er oft zu hören bekommen. Dabei habe er das Rollenangebot damals eigentlich absagen wollen. Der Santer sei ja einfach nur böse, das habe ihn nicht interessiert. Dann habe er sich ein wenig überreden lassen und Santer doch gespielt.

Erstaunlich findet er, welche seiner Filme vielen Menschen besonders im Gedächtnis geblieben sind: neben «Winnetou» sei das vor allem auch «Kir Royal». Dabei habe er 200 Filme gemacht, sagt Adorf und zählt auf: «Nachts, wenn der Teufel kam», «Die Blechtrommel», «Das Mädchen Rosemarie». Vieles sei vergessen. «So ist das nunmal», sagt er und schmunzelt.

Adorf: Karriere war kein Kampf um Anerkennung

Seine Filmlaufbahn habe sich einfach gefügt. «Ich hatte Glück», findet er. «Meine Karriere war in dem Sinne bequem. Es war kein Kampf um Anerkennung.» Daher habe er keinen großen Ehrgeiz entwickelt. Er habe nie etwas angestrebt, auch nicht den Oscar. Er sei immer mit dem zufrieden gewesen, was er habe machen dürfen. «Mit einer gewissen Demut und einer Bodenständigkeit, so würde ich das beschreiben.»

Oft war er als Bösewicht zu sehen, im höheren Alter vielfach als Patriarch. «Rossini», «Momo», «Der Schattenmann», «Der große Bellheim», «Die Affäre Semmeling» – die Liste an Erfolgen ist lang.

Dass er einst eine Rolle in Billy Wilders «Eins, zwei, drei» absagte, bezeichnet er nun als Fehler: «Das war natürlich eine Dummheit, das muss ich zugeben.» Damals sei er sogar ein wenig stolz darauf gewesen. Ob er es heute anders machen würde? «Ich habe immer gesagt, ich würde in der gleichen Situation, in der ich damals war, wahrscheinlich die gleichen Entscheidungen wieder treffen und die gleichen Fehler wieder machen.»

Aus Italien zurück nach Deutschland

Jahrzehnte lebte Adorf in Italien, die wohl schönste Zeit seines Lebens, wie er erzählt. «Dass ich dieses Dolce Vita mitmachen konnte, das habe ich sehr genossen.» Dann sei er nach Deutschland zurückgekehrt, auch wegen der Politik des damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi.

Als politisch interessierter Mensch sorgt er sich gerade um den Zustand der Welt. «Es gibt so viele Dinge, die ich für unmöglich gehalten hätte, auch durch meine Erfahrung im Krieg.» Im und nach dem Krieg habe er Todesangst und Hunger erlebt. «In der Nachkriegszeit habe ich jahrelang richtig gehungert. Und ich sage immer, ich wünsche es keinem. Weder, dass er Todesangst erleiden muss, noch dass er Hunger hat.» Dass heute Rechtspopulisten erstarken, das sei ihm «unbegreiflich». Und weiter: «Die Demokratie, die uns so lange Frieden gebracht hat, auf einmal leichtfertig aufs Spiel zu setzen – warum?».

Adorf will sich nicht in Debatte einmischen

Zurück zu «Winnetou». In die Debatte rund um Karl Mays Bücher und deren Verfilmungen – Kritiker sprachen unter anderem von kultureller Aneignung – will sich der Schauspieler nicht einmischen. Dafür fehle ihm das Verständnis, sagt er. Lieber erinnert er sich an seinen Kollegen Pierre Brice. Während der Dreharbeiten habe er mit dem «Winnetou»-Darsteller nicht viel Kontakt gehabt. Allerdings seien sie später in Rom Nachbarn gewesen. Es habe sich eine schöne Freundschaft entwickelt. «Vielleicht die einzige aus einem Film, die so intensiv war und so lange dauerte, das muss ich sagen. Wir haben viel Spaß gehabt. Er war ein sehr lustiger und sehr angenehmer, wunderbarer Freund.» 

Zur Vorstellung der Neufassung von «Winnetou I», die auch als DVD erhältlich ist, besuchte der 93-Jährige nun eine Kino-Matinee in München. Adorf freut sich, dass die berühmte Kinogeschichte um Winnetou und Old Shatterhand – zwei Feinde, die zu Freunden werden – auflebt.

Im Publikum sitzen zwei weitere Stars aus «Winnetou»-Filmen: Uschi Glas und Terence Hill. Und auf der Leinwand ist Mario Adorf einmal mehr der eiskalte Bösewicht Santer, der Nscho-tschi (Marie Versini) erschießt. Von den Zuschauern wird der 93-Jährige dafür allerdings nicht beschimpft. Es gibt großen Applaus für den Schurken der Nation.

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