Der Schriftsteller Martin Walser ist im Alter von 96 Jahren gestorben. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Felix Kästle/dpa)

Martin Walser ist tot. Der Schriftsteller starb am Freitag im Alter von 96 Jahren, wie der Rowohlt Verlag am Abend mitteilte. Walser galt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Schriftsteller in Deutschland. Walsers Tod löste breite Betroffenheit aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb bei Twitter: «Martin #Walser hat die Literatur der Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt.»

Walser wurde am 24. März 1927 als Sohn eines Gastwirts in Wasserburg am Bodensee geboren. Zu seinen bekanntesten Werken zählt die Novelle «Ein fliehendes Pferd» aus dem Jahr 1978, das von Kritikern gefeiert und fürs Kino verfilmt wurde. Für sein Schaffen erhielt er zahlreiche Preise, darunter den Georg-Büchner-Preis im Jahr 1981 und den Friedenspreis des deutschen Buchhandels im Jahr 1998. Im März 2022 erschien «Das Traumbuch» im Rowohlt Verlag.

Bundespräsident Steinmeier: «Schriftsteller von Weltrang»

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bezeichnete Walser in einem Kondolenzschreiben als «einen großartigen Menschen und einen Schriftsteller von Weltrang», den Deutschland verloren habe. «Wenn man in der deutschen Nachkriegsliteratur ein Beispiel nennen sollte für historisch bewusste, engagierte Dichtung, wer anders würde einem zuerst einfallen als Martin Walser?»

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) schrieb, Walser habe Literatur geschaffen, die bleibe. «Als scharfer, tiefgründiger, immer wieder auch streitbarer Beobachter und Kommentator hat Walser der bundesrepublikanischen Geschichte der Nachkriegszeit seinen Stempel aufgedrückt. Seine Romane sind Spiegel und Reflexionsort der deutschen Zeitgeschichte und zugleich empathische und detailgenaue Studien der menschlichen Gattung.»

Das von Walser mitinitiierte Literarische Forum Oberschwaben schrieb: «So lange er es konnte, hat sich Walser für die Förderung von Kunst und Kultur in unserer Region eingesetzt und Schriftsteller/innen gefördert. Mit Themen wie Heimat, Identität, Erinnerung und Gesellschaft hat er auch bei uns Diskussionen und Debatten angestoßen und das intellektuelle und kulturelle Leben bereichert.»

Der Rowohlt Verlag würdigte: Mit Martin Walser verliere man einen seiner bedeutendsten Autoren, der als Schriftsteller und Homo politicus über Jahrzehnte die deutsche Kultur geprägt habe. «Sein vielgestaltiges und sprachmächtiges Werk, sein Auftreten als öffentlicher Intellektueller werden lange über seinen Tod hinaus wirken», hieß es in einer Mitteilung.

Umstrittene Friedenspreis-Rede 1998

Walsers Werke handelten oft von scheiternden Durchschnittsbürgern, die der Autor ebenso liebevoll wie schonungslos unter die Lupe nahm. Doch der Schriftsteller bleibt nicht nur als begnadeter Erzähler und Sprachvirtuose in Erinnerung. Walser bezog oft Stellung zu aktuellen Debatten – und eckte mehrfach heftig an. 1998 kritisierte Walser beispielsweise bei seiner Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels unter anderem die «Instrumentalisierung von Auschwitz». Heftige und empörte Reaktionen waren die Folge.

Im vergangenen Jahr appellierte er mit weiteren Prominenten wie der Feministin Alice Schwarzer im Zusammenhang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Deutschland sollte weder direkt noch indirekt schwere Waffen an die Ukraine liefern. Walser gehörte zu den streitbarsten Autoren der Nachkriegsliteratur.

In dem 2015 erschienenen Sammelband «Unser Auschwitz» dokumentierte Walser seine lebenslange Auseinandersetzung mit dem Thema. Der letzte Beitrag der Anthologie ist ein Auszug aus dem 2014 erschienenen Werk «Shmekendike Blumen», das dem jiddischen Schriftsteller Sholem Yankev Abramovitsh ein Denkmal setzt. Nach dessen Lektüre könnte er seine umstrittene Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1998 in der Frankfurter Paulskirche nicht mehr halten, sagte Walser damals. Abramovitsh habe ihm gezeigt: «Diese Instrumentalisierung kann mir doch egal sein. Was ist das – angesichts dessen, was passiert ist. Was sind da solche lächerliche kleine Hin-und-Her-Redereien.»

«Tod eines Kritikers» sorgte für Kontroversen

Sein 2002 veröffentlichter Roman «Tod eines Kritikers» sorgte ebenfalls für große Kontroversen. Viele Kritiker meinten, in dem Protagonisten des Werkes den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zu erkennen. «FAZ»-Herausgeber Frank Schirrmacher wertete das als Abrechnung mit dem Literaturbetrieb gedachte Buch damals als «Exekution» Reich-Ranickis. In der Folge kam es auch zum Streit Walsers mit seinem langjährigen Verlag Suhrkamp. 2004 wechselte er zu Rowohlt.

Walsers Oeuvre umfasst heute Dutzende Romane, zahlreiche Novellen und Geschichtesammlungen, eine Vielzahl von Theaterstücken, Hörspielen und Übersetzungen sowie Aufsätze, Reden und Vorlesungen. Obwohl Walser viel reiste und unter anderem auch in den USA als Gastdozent arbeitete, blieb er seiner Region stark verbunden: Er war im Süden verwurzelt, ein Heimatmensch – vielleicht sogar ein Heimatschriftsteller.

Unweit seines Geburtsortes Wasserburg lebte er mehrere Jahrzehnte in Überlingen. Seit 1950 war Walser mit seiner Frau Käthe verheiratet, sie bekamen vier Töchter, die alle künstlerisch tätig sind. 2009 wurde zudem bekannt, dass Walser der Vater des Journalisten und Verlegers Jakob Augstein ist. In ihrem gemeinsamen Buch «Das Leben wortwörtlich» (2017) setzen sie sich unter anderem mit Walsers Leben, der deutschen Vergangenheit und ihrer Beziehung auseinander.

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