Die Schauspielerei war seine Rettung: Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Kindheit von Rolf Becker mit zehn Jahren vorbei, sein Vater gefallen. Den Krieg hatte er auf dem Bauernhof seiner Großeltern in Holstein erlebt, nachts hörten sie die Bomber, die Hamburg von Norden anflogen und die Stadt in ein Flammenmeer tauchten.
Das ist sein Alltag, als Rolf Becker mit neun Jahren erstmals auf der Bühne steht. In dem Stück «De Wett» (Die Wette) hat er seine erste Rolle, später spielt er mit Freunden «Der dritte Mann» in einer ausgebombten Wohnung nach.
«Die Schauspielerei war für mich ein Ausweichen vor einer Wirklichkeit, mit der ich schwer zurande kam», sagte Becker. Nun ist der beliebte Schauspieler («In aller Freundschaft») mit 90 Jahren in Hamburg gestorben. Der Wahlhamburger starb am Freitag im Kreise seiner Familie in einem Hamburger Hospiz, wie St.-Pauli-Pastor Sieghard Wilm der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Zuerst hatte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) berichtet.
Das Theater wurde zum Zufluchtsort
Das Theater wurde für ihn eine Art Zufluchtsort. «Mit 16 Jahren stand für mich fest: Du gehst zum Theater!», erinnerte sich Becker im dpa-Interview zu seinem 80. Geburtstag. Sein Studium an der Otto-Falckenberg-Schule in München finanziert sich der rebellische junge Mann als Bühnentechniker.
Mit kleinen Rollen an den Münchner Kammerspielen beginnt Becker seine Theaterkarriere, nach Stationen in Darmstadt und Ulm wechselt er 1963 ans Theater Bremen. Hier inszeniert er auch, bis er 1969 fristlos entlassen wird. «Wir haben eine Operette auch schon mal unterbrochen, um gegen die Notstandsgesetze zu protestieren», erinnert er sich an die wilde Zeit der Studentenproteste.
Rollen mit gesellschaftlicher Relevanz
Nach Engagements am Hamburger Schauspielhaus und am Thalia Theater avancierte Becker rasch zu einem der gefragtesten Theaterschauspieler und machte auch im Fernsehen und beim Film Karriere («Trenck»-Serie, 1971, «Die verlorene Ehre der Katharina Blum», 1976). Seine Rollen wählte er danach aus, ob sie gesellschaftliche Relevanz hatten. «Wo sind die Themen, die zeigen, was war, und so auch Aufmerksamkeit wecken für das, was kommen kann?», beschrieb der Hamburger mit der markanten Stimme und den strahlend blauen Augen hinter der randlosen Brille seine Auswahlkriterien.
Dazu passte die Rolle des «Jedermann», die Becker von 1997 bis 2004 in der Hamburger Speicherstadt spielte. Einem Millionenpublikum bekannt wurde Becker zuletzt in der beliebten ARD-Arztserie «In aller Freundschaft», wo er seit 2006 neben Ursula Karusseit (1939-2019) den gutmütigen Rentner Otto Stein spielte.
Talent an Ben und Meret Becker weitergegeben
Sein schauspielerisches Talent hat Becker an seine Kinder Ben und Meret Becker aus der Ehe mit der Schauspielerin Monika Hansen weitergegeben. Mit beiden stand er auch vor der Kamera. In dem Film «Ein Lied von Liebe und Tod – Gloomy Sunday» (1998) spielte Ben einen jungen SS-Offizier, Becker den alten. Mit Meret drehte er den Kinofilm «Heinrich der Säger» (2000), in dem er einen Bahnhofsvorsteher spielte, der gegen seinen Arbeitgeber rebelliert.
Seit 1980 war Rolf Becker mit der Schauspielerin Sylvia Wempner verheiratet, mit der er zwei Söhne hat, später kam noch Adoptivsohn Anton dazu, der in dem ARD-Drama «Zappelphilipp» begeisterte.
Seit Jahren engagierte sich Becker auch politisch und sozial – zusammen mit seiner Frau setzte er sich zum Beispiel für Flüchtlinge überall in der Welt ein. «Ich bin ein Kind des Zweiten Weltkriegs», sagte er über seine Beweggründe. Er habe mitbekommen, wie Menschen vor den Nazis fliehen mussten.
In den 1970er Jahren unterstützte der Gewerkschafter einen Radiosender in Nicaragua, in den 1990er Jahren demonstrierte er gegen die Nato-Angriffe in Ex-Jugoslawien, was ihm auch heftige Kritik einbrachte. Unermüdlich war Becker auch im Einsatz gegen das Vergessen der NS-Vergangenheit.
