Die «Machtergreifung» der Nationalsozialisten beendete abrupt die Karriere vieler berühmter Regisseure in Deutschland. Einige wie Fritz Lang schafften in Hollywood einen Neustart. Andere dagegen erlitten dort Schiffbruch. So auch Georg Wilhelm Pabst, ein gebürtiger Österreicher, der in den 20er Jahren zu den bekanntesten UFA-Regisseuren gehörte und die damals noch gar nicht so große Greta Garbo förderte.
Pabst galt wegen seiner sozialkritischen Filme zwar irgendwie als links, war aber kein Jude. Nach seinem Scheitern machte ihm Joseph Goebbels deshalb ein attraktives Angebot – und der Filmemacher erlag den Sirenengesängen des NS-Propagandaministers. Seither ist Pabst ein Mann im Zwielicht. Als Romanfigur ist er also durchaus reizvoll, und so setzt sich Daniel Kehlmann in seinem neuen Buch «Lichtspiel» mit dessen widersprüchlicher Rolle im Dritten Reich auseinander.
Das Rätsel um einen mysteriösen Film
Kehlmanns besonderes Interesse gilt dabei Pabsts geheimnisvollem, in den letzten Kriegstagen verschollenen Film «Der Fall Molander». Die Frage nach der Haltung eines Künstlers zu einer Diktatur ist zweifellos ein ebenso zeitloses wie ernstes Thema. Dem Schriftsteller gelingt es, dieses schwergewichtige Sujet nicht nur differenziert, sondern immer wieder auch ausgesprochen humorvoll zu erzählen. Die recht frei interpretierte Geschichte um den verschollenen Film erzeugt zudem einige Spannung.
Schon die Rahmenhandlung, die mehr als 30 Jahre nach dem Krieg spielt, setzt den Ton. Der bereits reichlich verwirrte Franz Wilzek wird aus dem «Sanatorium Abendruh» abgeholt und in ein Fernsehstudio gefahren. In einer Livesendung wird der alte Herr von einem schmierigen Moderator über sein Leben befragt. Als Regisseur hat Wilzek einst ein paar unbedeutende Filme mit Peter Alexander gedreht.
Das eigentliche Highlight seines Lebens liegt lange zurück. Als Regieassistent begleitete er Georg Wilhelm Pabst 1944 bei den Dreharbeiten zu dem Film «Der Fall Molander». Anders als der Moderator behauptet, bestreitet Wilzek allerdings plötzlich vehement, dass der Film überhaupt je gedreht wurde, und es kommt vor laufender Kamera zum Eklat. Das Rätsel um den mysteriösen Film wird sich, so viel sei gesagt, erst ganz am Ende des Romans lösen.
Die aus der Sicht des dementen Alten geschilderte Szene ist ein ebenso komischer wie tragischer Romanauftakt. Ähnliches gelingt Kehlmann in einer anderen Szene, die in den 30er Jahren in Amerika spielt. Darin zeigt er humoristisch-slapstickartig, wie Pabst dort an seinen katastrophalen Englischkenntnissen scheitert. Dass der stolze weltberühmte Regisseur sich in Hollywood ignoranten Produzenten unterwerfen muss, ist ein weiterer Sargnagel für ihn. Als er dann noch dazu gezwungen wird, den verhassten Film «A Modern Hero» zu drehen, und dieser, wie von ihm prophezeit, ein grandioser Misserfolg wird, ist seine Karriere in den USA beendet.
Ein Mitläufer verteidigt sich
Die Erkrankung seiner in Österreich verbliebenen Mutter bringt ihn zurück in die Heimat, in der er durch den Kriegsausbruch dann gefangen ist. Seine Kooperation mit den Nazis rechtfertigt er mit seiner Liebe zur Kunst: «Wichtig ist, Kunst zu machen unter den Umständen, die man vorfindet. Das hier sind jetzt meine Umstände. Und weißt du, so schlecht sind sie nicht!», verteidigt er sich gegenüber seiner Frau, die sein Mitläufertum verurteilt.
Zwar macht Pabst keine Propagandafilme, sondern im weitesten Sinne Unterhaltung, doch frei ist er natürlich nicht. So muss er sich der herrischen NS-Diva Leni Riefenstahl unterwerfen, die er für eine miserable Schauspielerin hält. Bei alldem ist dieser von Kehlmann erschaffene Pabst nicht unsympathisch, und doch kann man mit ihm kein Mitleid haben, zu dreist betrügt er sich selbst. So meint er tatsächlich, in seinem letzten Nazifilm die ihm auferlegte verlogene Botschaft heroisch sabotiert zu haben. Dumm nur, dass genau dieser Film verloren geht.
Kehlmann ist ein großartiger Geschichtenerzähler. Er schreibt rasant und kunstvoll wie Pabsts geniale Schnitttechnik, dann wieder traumartig, verrückt und verschoben wie die Welt dementer Menschen. An anderer Stelle wird es surreal-böse, etwa wenn es um die Herrschaft eines garstigen Nazi-Hauswarts oder eines grotesken Propaganda-Autors geht. Und häufig ist es ganz einfach wunderbar amüsant und komisch. Nur eines ist «Lichtspiel» ganz bestimmt nicht: ein netter, harmloser Historienroman.
Daniel Kehlmann: Lichtspiel, Rowohlt Verlag, Hamburg, 480 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3-498-00387-6