Eine schräge Science-Fiction-Komödie mit Wurstfingern und Paralleluniversen, ein deutscher Antikriegsfilm mit grausamen Bildern aus dem Schützengraben, eine irische Tragikomödie um eine geplatzte Männerfreundschaft, abgetrennte Körperteile und ein toter Esel inklusive – das sind die diesjährigen Oscar-Favoriten.
«Everything Everywhere All at Once» führt bei den 95. Academy Awards am Sonntag (Ortszeit L.A./MEZ 01.00 am 13.3.) mit elf Nominierungen, je neun Oscar-Chancen haben «Im Westen nichts Neues» und «The Banshees of Inisherin». Acht Mal ist das Biopic «Elvis» vertreten, sieben Mal Steven Spielbergs autobiografisches Werk «Die Fabelmans».
Sie alle konkurrieren um den Top-Oscar als «Bester Film» in einer auffallend bunten Mischung – zusammen mit den Blockbusterfilmen «Top Gun: Maverick» und «Avatar: The Way of Water», der Sozialsatire «Triangle of Sadness», dem Independentfilm «Die Aussprache» und dem Psychodrama «Tár».
«Im Westen nichts Neues» schreibt Oscar-Geschichte
Noch nie in der Geschichte der Oscars hatte ein deutscher Film so viele Trophäen-Chancen wie «Im Westen nichts Neues». Das Antikriegsdrama von Regisseur Edward Berger, nach der Buchvorlage von Erich Maria Remarque aus dem Jahr 1929, ist zudem das erste deutsche Werk, das als «Bester Film» gewinnen könnte. Weitere acht Nominierungen gab es in den Sparten Internationaler Film, Kamera, Make Up & Hairstyling, Produktionsdesign, Sound, visuelle Effekte, adaptiertes Drehbuch und Musik.
In der Oscar-Historie schafften es erst acht nicht-englischsprachige Filme gleichzeitig in die Kategorien «Bester Film» und «Internationaler Film». 2020 gelang der südkoreanischen Satire «Parasite» der erste Doppelsieg überhaupt. Ein gutes Omen für Berger: Alle acht holten zumindest den Auslands-Oscar.
Viele Favoriten – Spannung bis zum Ende
Seit Monaten werden Filmpreise vergeben, viele gelten als Vorboten für die Oscars. So heimste «Everything Everywhere All at Once» des Regie-Duos «The Daniels» (Daniel Kwan und Daniel Scheinert) in dieser Saison schon die wichtigen Trophäen von Hollywoods einflussreichen Verbänden der Schauspieler, Regisseure und Produzenten ein.
Bei den Golden Globes im Januar triumphierte dagegen Altmeister Steven Spielberg («Die Fabelmans») als Regisseur und mit dem Top-Globe für das beste Drama. Und jüngst bei den britischen Filmpreisen in London räumte «Im Westen nichts Neues» sensationelle sieben Bafta-Trophäen ab, auch in der Königssparte «Bester Film» und für Regie.
Nach Branchenprognosen gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Cate Blanchett («Tár») und Michelle Yeoh («Everything Everywhere All at Once») um den Hauptdarstellerin-Oscar. Bei den Männern sollten «Elvis»-Darsteller Austin Butler und Brendan Fraser («The Whale») eine Dankesrede parat haben.
Superlative und Premieren
Spielberg (76) geht als alter Hase ins Oscar-Rennen, zum zwölften Mal als Produzent, zum neunten Mal als Regisseur nominiert, aber erstmals hat er mit «Die Fabelmans» auch Chancen auf den Oscar für das Original-Drehbuch. Drei Trophäen besitzt er schon, für «Schindlers Liste» und «Der Soldat James Ryan».
Mit 91 Jahren und seiner 53. Oscar-Nominierung für die Musik von «Die Fabelmans» ist Komponist John Williams der lebende Filmschaffende mit den meisten Oscar-Nominierungen. Den Hollywood-Rekord hält Walt Disney (1901-1966) mit 59 Oscar-Chancen. Williams nahm bereits fünf Goldjungen in Empfang, den letzten vor knapp 30 Jahren für «Schindlers Liste».
Hollywood-Star Tom Cruise ist als Schauspieler bei den Oscars schon drei Mal leer ausgegangen, aber mit 60 Jahren könnte er nun erstmals als Mit-Produzent von «Top Gun: Maverick» gewinnen. Die zweifache Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett (53), die in «Tár» als fiktive Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker glänzt, kann zum achten Mal auf einen Oscar hoffen.
Ihre schärfste Preis-Konkurrentin ist Michelle Yeoh (60) als chaotische Waschsalonbesitzerin in «Everything Everywhere All at Once». Die in Malaysia geborene Schauspielerin ist als erste Asiatin überhaupt als beste Hauptdarstellerin nominiert. Der gebürtige Vietnamese Ke Huy Quan (51) spielt ihren Ehemann – und gilt als Favorit für den Nebenrollen-Oscar.
Stars und Glamour bei der Gala
Das Gala-Programm ist noch unter Verschluss, aber die Academy stimmt schon mit großen Namen auf die Show ein: Als Performer wurden vorab Musik-Stars wie Rihanna und David Byrne angekündigt. Als Presenter sollen unter anderem Harrison Ford, Halle Berry, John Travolta, Glenn Close, Riz Ahmed, Zoe Saldaña und Michael B. Jordan auf der Bühne stehen. Auch Ariana DeBose und Troy Kotsur, die im vorigen Jahr die Oscars als beste Nebendarsteller gewonnen hatten, helfen beim Verteilen der Trophäen mit.
Gastgeber ist zum dritten Mal der US-Komiker Jimmy Kimmel. Der schlagfertige Moderator witzelte vorab, es sei «entweder eine Ehre oder eine Falle», erneut gefragt zu werden, «so schnell, nachdem alle Guten abgesagt haben».
Schutz vor Ohrfeigen mit Krisenteam
Einen Schockmoment wie im Vorjahr soll es diesmal nicht geben. US-Schauspieler Will Smith hatte dem Komiker Chris Rock auf der Bühne eine Ohrfeige verpasst, aus Ärger über einen Witz über Smiths Ehefrau Jada Pinkett. Nun haben die Veranstalter ein Krisenteam aufgestellt, wie die Akademie betont.
Eines ist sicher – Smith ist im Dolby Theatre nicht unter den Gästen. Nach dem Eklat wurde der Oscar-Preisträger («King Richard») für zehn Jahre von Oscar-Verleihungen ausgeschlossen.
Oscars «Made in Germany» – Jubel oder Pleite
Es ist 16 Jahre her, dass ein deutscher Film den Auslands-Oscar holte. Das gelang 2007 dem damals 33-jährigen Florian Henckel von Donnersmarck mit dem Stasi-Drama «Das Leben der Anderen». Davor schafften das nur Caroline Link mit «Nirgendwo in Afrika» (2003) und Volker Schlöndorff 1980 mit «Die Blechtrommel». Im vorigen Jahr gab es zweifach Applaus für deutsche Filmschaffende, als Komponist Hans Zimmer und Spezialeffektekünstler Gerd Nefzer für «Dune» geehrt wurden, für beide der zweite Oscar.
Neben den neun Oscar-Chancen von «Im Westen nichts Neues» gibt es auch noch den deutschen Anwärter Florian Hoffmeister. Der gebürtige Braunschweiger ist für seine Kameraarbeit bei «Tár» nominiert.
Vor dem Nominierungs-Triumph von «Im Westen nichts Neues» war «Das Boot» 1983 als deutscher Film mit den meisten Oscar-Anwartschaften gefeiert worden. Das Kriegsdrama von Wolfgang Petersen (1941 – 2022) war sechsmal nominiert. Bei der Trophäen-Gala ging es aber leer aus.