Nach vier ausverkauften Aufführungen in Schwerin wird die internationale Koproduktion «Sancta» bei den Wiener Festwochen zu sehen sein. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Nicole Marianna Wytyczak/dpa)

Purer Zufall oder bewusstes Kalkül: Während auf dem Katholikentag in Erfurt die Gläubigen über die vom Vatikan ausgebremste Kirchenreform debattieren und mit den Folgen lange verschwiegener Missbrauchsfälle kämpfen, werden die Themen in Schwerin auf der Theaterbühne abgehandelt.

Radikal, zuweilen verstörend und doch auch unterhaltsam. In Szene gesetzt von der Performancekünstlerin Florentina Holzinger, die bekannt ist für ihre spektakulären Bühnenstücke mit meist nackten Darstellerinnen. Mit ihrem neuen Stück «Sancta» sorgte sie bei der Premiere erneut für Furore und riss das Publikum im ausverkauften Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin zu tosendem Applaus und Jubel hin.

Die 38-jährige Österreicherin Holzinger knüpft mit ihrer ersten Operninszenierung nahtlos an ihre preisgekrönten früheren Arbeiten wie «Ophelia’s Got Talent» 2022 an der Berliner Volksbühne oder «Tanz» 2019 in Wien an. Nach insgesamt vier ausverkauften Aufführungen in Schwerin wird die internationale Koproduktion «Sancta», die nur für Besucher ab 18 Jahren zugelassen ist, Mitte Juni bei den Wiener Festwochen zu sehen sein, im Herbst dann auch in Stuttgart und Berlin.

Mischung aus liturgischen Gesängen, Popmusik und Metal

Die Aufführung beginnt mit Paul Hindemiths Opern-Einakter «Sancta Susanna». Das etwa 20-minütige Singspiel um eine junge Nonne, die sich, beseelt vom Liebesgeflüster eines Pärchens jenseits der Klostermauern, schließlich der gekreuzigten Jesusfigur hingibt, war bei der Entstehung vor gut 100 Jahre skandalumwittert. Nach massiven Blasphemievorwürfen und Protesten musste die Premiere von Stuttgart nach Frankfurt/Main verlegt werden.

Doch während Hindemith das Erwachen der Lust in Susanna, die Partie gespielt und gesungen von der Schweriner Sopranistin Cornelia Zink, weitgehend der Fantasie des Publikums überlässt, führt es Holzinger drastisch vor Augen: Zwei nackte Darstellerinnen geben sich auf der Bühne ungezügelt ihrer Leidenschaft hin und führen das Liebesspiel an einem riesigen Kreuz fort, bis Susanna schließlich von ihren Mitschwestern ob ihrer Obsession in Bann geschlagen wird.

Die Kurzoper geht mit einem markerschütternden Befreiungsschrei der weiblichen Lust nahtlos in eine als Spektakel gestaltete feministische kirchliche Messe über. Dabei agieren die Darstellerinnen zu liturgischen Gesängen des Schweriner Theaterchors wie Kyrie aus Bachs H-Moll-Messe, zu Popsongs wie It’s Raining Men, harten Metal-Klängen oder extra komponierten Titeln.

Provokante Blasphemie und Plädoyer für Reformen

Rollschuhfahrerinnen rauschen nackt durch eine Halfpipe, andere Darstellerinnen zerstören an einer riesigen Kletterwand symbolisch das ikonische Fresko Michelangelos von Gott und Adam. Christus kommt in Gestalt eines bekifften Weltverbessers mit Sonnenbrille und Plüschlamm über der Schulter, womit Holzinger ihrem Hang auch zu Klamauk frönt. Das Heilige Abendmahl wird zum Rave. Eine kleinwüchsige Frau schlüpft zur eigenen Freude in die Rolle des Papstes.

Der Heilige Geist wird zur personifizierten Zauberin, die Weinflaschen vermehrt und die Rippe zur Erschaffung Evas besorgt. Ein vor den Augen des Publikums entnommener menschlicher Hautfetzen wird zur gottgeweihten Reliquie, kurz darauf zur Abendmahl-Hostie. Der Parforceritt durch die biblische Geschichte, in dem christliche Rituale hinterfragt, fortwährende männliche Dominanz und sexuelle Unterdrückung der Frau angeprangert werden, ist deutbar als provokante Blasphemie und zugleich als Plädoyer für grundlegende Reformen in der Kirche.

Holzinger bekannt für Radikalität, Stunts und Trash

Schon vor der Uraufführung ihrer Opernadaption in Schwerin hatte Holzinger deutliche Kritik am diskriminierenden Frauenbild und an unzureichender Aufklärung von Missbrauchsfällen geübt. So bleibt am Ende der Appell, selbst für Veränderung zu sorgen, das himmlische Reich auf Erden zu finden. In der Schlussszene stehen nahezu alle der 520 Besucherinnen und Besucher und singen die Aufforderung mit: «Don’t dream it, be it» (Träume nicht nur davon, lebe es aus) – eine Reminiszenz an den Musical-Film «Rocky Horror Picture Show».

Mit ihren Arbeiten, bei denen sie nicht nur radikal und freizügig weibliche Körper in Szene setzt, sondern auch schmerzhafte Stunts einbaut und vor Trash nicht zurückschreckt, sorgt Holzinger seit Jahren für Aufsehen in der Theaterwelt. Die 1986 in Wien geborene Choreographin ist seit 2021 an der Berliner Volksbühne tätig und war zwischenzeitlich auch als Nachfolgerin des Ende Februar unerwartet verstorbenen Intendant René Pollesch gehandelt worden.

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