Alle zwei Jahre ein Buch: Gérard Depardieu scheint nach der Schauspielerei eine neue Leidenschaft gefunden zu haben.
Mit «Ailleurs» (dt. Anderswo) hat das Urgestein des französischen Kinos («Cyrano von Bergerac», «Asterix bei den Olympischen Spielen») sein viertes Buch seit 2014 geschrieben. Diesmal geht es nicht um seine Jugendjahre als Strichjunge und seine Alkoholprobleme. In seinem jüngsten Werk gibt er großzügig seine Lebens- und Weltanschauungen preis. Wie immer ist der Vollblutschauspieler in seinen Ansichten direkt und provokativ.
Manchmal sei er ein Monster, manchmal ein Unschuldiger – so beginnt sein Buch. Alles, was dazwischen liegt, interessiere ihn nicht. Das ist nicht neu. Bereits in seinen 2017 und 2015 veröffentlichten Werken «Monstre» (dt. Monster) und «Innocent» (dt. Unschuldig oder Ursprünglich) hat er angedeutet, was er damit meint. Er tue nichts, um nett und sympathisch zu wirken, schrieb er in «Monstre». Er sei einfach so, wie er sei – das sei seine Freiheit. Damit hat der 72-Jährige häufig für Schlagzeilen gesorgt. Er stehe zu seinen Dummheiten und Ausrutschern, denn sie spiegelten etwas Wahres, Authentisches wider, rechtfertigte er sein Verhalten in «Innocent».
In seinem jüngsten Buch strickt er aus beidem nun einen Denkansatz, den er «Ailleurs» nennt. Das sei keine Philosophie, erklärt er, denn sein Ansatz sei frei von jeder Theorie. So liegt für ihn das wahre Leben in einer Rückkehr zur Natur, zum Einfachen und Schlichten, zum Authentischen, in einer Welt, die frei von sozialen Konventionen und Moralvorstellungen ist. Für ihn korrumpiert die Gesellschaft den Menschen. «Ich misstraue jeder Erziehung», meint er. Angefangen bei den Kindern. Man könne und dürfe ihnen nichts aufzwingen, schon gar nicht unsere Wünsche, so seine Überzeugung.
Interessant ist, dass mancher Gedanke ansatzweise an die Zivilisationskritik des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) erinnert, der in seiner «Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen» ein Zurück zur Natur und natürlichen Erziehung fordert. Der Denker vertrat die These, dass die Zivilisation verderbliche Folgen für die natürlichen und unverdorbenen Instinkte habe und jeglicher Fortschritt zur Entfremdung von der Natur führe.
Zu einem Rundumschlag in seiner gewohnt provokativen und polternden Art holt Depardieu aus, wenn es um Amerika und den Dollar-Kapitalismus geht und die kulturelle Vereinheitlichung. Reichlich Fett bekommt wie immer Frankreich ab, ein Land, das krank und depressiv sei.
Auf den über 200 Seiten lässt Depardieu kein Sujet aus. So sei Sexualität noch immer ein Tabu-Thema. Freud habe zwar eine Tür geöffnet, doch das, was sich dahinter verberge, sei unendlich. Und: Sexualität bleibe ein Rätsel, das Religionen und Verbote im Keim getötet hätten.
Gegen den Schauspielstar läuft in Frankreich derzeit ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Übergriffe. Eine Schauspielerin hatte vor einiger Zeit die Anzeige eingereicht, jetzt laufen die Ermittlungen nach einer ersten Einstellung weiter. «Für mich war die Untersuchung abgeschlossen, ich bin unschuldig und habe nichts zu befürchten», sagte Depardieu kürzlich der italienischen Zeitung «La Repubblica».
Das Buch ist das Ergebnis ausgedehnter Dialoge zwischen Depardieu und den beiden Verlagsredakteuren von Cherche-Midi Jean-Maurice Belayche und Arnaud Hofmarcher. Was Depardieu interessiere, sei das Unbekannte, sagte Belayche der französischen Tageszeitung «Le Parisien». Am meisten erstaunt jedoch, Depardieus großes Bedürfnis, sich mitteilen zu wollen.