John (l-r), Patricia, Paul, Joey und Kathy Kelly auf ihrem Hausboot «Sean o'Kelley», das im Hafen von Köln lag. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marc Bremer/RTLZWEI/dpa)

Der Weg hoch zum einstigen Sehnsuchtsort Tausender Teenager ist eher schmucklos und verbeult. Eine hausmeistergraue Leiter lehnt am Schiff «Sean o’Kelley», das in einem Hafen von Köln liegt.

Als Unkundiger ist man durchaus versucht, nach einem anderen – etwas weniger wackligen – Zugang zu suchen. Patricia Kelly aber lässt derlei Bedenken nicht gelten. «Das ist tatsächlich der Einstieg! Willkommen im Bootsleben!», sagt sie. «Kommt, ich mach‘ euch vor, wie man da rein klettert.» Aber auch sie warnt: «Ihr müsst aufpassen.»

Ein sagenumwobener Ort

Patricia Kelly kennt den himmelblau bemalten und im Inneren gemütlich ausstaffierten Kahn gut, denn sie hat auf ihm gelebt. Die «Sean o’Kelley» ist das Hausboot der Kelly Family, das in den Neunzigern in Köln ankerte und als Heimat der Familienband galt, als der ganz große Durchbruch kam. Fans kamen damals von weit her, um einen Blick auf Paddy, Angelo, Patricia, John und all die anderen zu erhaschen; bei der Kölner Polizei sollen diverse Vermisstenanzeigen besorgter Eltern eingegangen sein. 1995 wurde eine drei Meter hohe Mauer gebaut. 1998 kaufte der Clan schließlich ein Wasserschloss bei Bonn. Popkulturell betrachtet blieb das Hausboot ein sagenumwobener Ort.

Nach einigen Aufs und Abs ist nun nicht nur die Kelly Family wieder unterwegs – 2017 feierte sie ein Comeback als Band -, sondern überraschend auch das Schiff, das 2004 eigentlich einen würdevollen Platz im Technik Museum Speyer bekommen hatte und somit als mehr oder minder ausgemustert galt. Vor einigen Wochen hat es die Kelly Family wieder zu Wasser gelassen und zum alten Ankerplatz in Köln gebracht.

Der Grund: Die Band arbeitet an einem neuen Album (Herbst) und an einer neuen Tour (Herbst/Winter). «Es wird ein Familienprogramm», sagt Patricia Kelly. «Nach dieser Corona-Zeit sind wir ein wenig wie Tiere, die im Käfig gehalten wurden, und jetzt wieder raus dürfen.» Zudem drehen die Kellys eine Doku-Reihe, bei der sie zu wichtigen Karriere-Stationen reisen – also auch zur «Sean o’Kelley». RTLzwei will sie noch in diesem Jahr ausstrahlen.

Das Hausboot erdet die Familie

Man könnte den Bootsbesuch nun für eine etwas konstruierte Idee halten, um gute TV-Bilder zu drehen und die gerade populäre 90er-Jahre-Nostalgie zu füttern. Man kann es aber auch als interessantes Experiment begreifen, bei dem eine Band, über die es viele Geschichten gibt, mit der eigenen Geschichte konfrontiert wird. Für die Kellys selbst ist das Schiff: Inspiration.

«Die Idee ist, dass wir zurück zu unseren Wurzeln reisen», sagt Kathy Kelly. «Wir singen hier ganz instinktiv die Lieder, die uns früher geprägt haben. Das Gefühl kommt wieder zurück.» Ein «ganz neuer Team-Spirit» entstehe da. John Kelly sagt es so: «Ich glaube, für manche ist es auch ein wenig Therapie, wenn wir noch mal die Orte besuchen, die uns geprägt haben.»

An diesem Tag im April sind Kathy, Patricia, John, Joey und Paul an Bord des Schiffs. Bei der Tour soll auch noch Jimmy dabei sein. Vor allem Patricia schwelgt in Erinnerungen. Sie klettert hoch ins Führerhäuschen. «Hier hat immer Papa geschlafen. Er liebte es, rauszugucken.» Familienoberhaupt Dan Kelly, 2002 gestorben, hatte einst auf einer Art Odyssee aus seiner Großfamilie eine Band geschmiedet und sie über Fußgängerzonen auf Stadionbühnen und unzählige «Bravo»-Cover gelotst. «Von diesem Steuerraum hat er – ich sag‘ es mal so – das ganze Imperium regiert», sagt Patricia Kelly.

Eine Etage tiefer lugt sie in ihre alte Kajüte rein. «Papa hat es mit den Mädels gut gemeint, das muss man sagen. Da war er ganz klassisch», sagt sie. Sie hätten stets die besten Kajüten bekommen. «Die Jungs mussten schauen, wie sie zurechtkamen.» Ein Raum weiter steht ein Ofen. «Ich habe hier gekocht, tagtäglich», berichtet Patricia. «Zum Beispiel Bohnensuppe.»

Sie wurde als Hippie-Familie verspottet

Es ist nicht ganz leicht zu enträtseln, wie viele Menschen des großen Clans damals wirklich zeitgleich auf dem 34 Meter langen und 6,30 Meter breiten Schiff lebten, das die Familie nach dem Kauf Ende der Achtziger selbst aufmöbelte. Joey Kelly etwa sagt, er habe eher an Land gelebt, zum Beispiel in Wohnwagen. «Alles Entscheidende spielte sich aber auf dem Boot ab.» Hier – im eher unscheinbaren Mülheimer Hafen – seien die Meetings gewesen, auch Besuch sei gekommen. Er erinnert sich etwa an Thomas Gottschalk. «Wenn man Geschäfte mit den Kellys machen wollte, musste man hierhin.»

Die Kelly Family galt damals als Musik-Phänomen. Mit dem Hausboot, Hippiedress und gefühliger Musik war sie ein Gegenentwurf zum kalten Techno, der damals in Mode war. Das polarisierte aber auch. Einen Witz über die Flohmarktgewänder und die langen Haare der Kellys zu machen, gehörte zum kleinen Einmaleins volksnaher Komiker. Hinzu kam steter Nachschub an etwas skurrilen Boulevard-Geschichten. Etwa die, wie sich der damalige Kölner Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes – ein Name wie ein Donnerhall – mit «Kölns bekanntester Hausboot-Familie» anlegte. Auslöser war die Frage, ob der damals 14-Jährige Angelo der Schulpflicht nachkam.

Auf dem Schiff kommen aber zunächst andere Erinnerungen hoch. «Ich habe mal für einen Triathlon trainiert und bin hier im Rhein im Neoprenanzug geschwommen. Rauf und runter», erzählt Patricia. Auch Hochwasser habe es gegeben – ein hochrangiger Platten-Boss sei damals mit einem Boot zum Kelly-Kahn gepaddelt, weil er mit Vater Dan einen Vertrag schließen wollte. «Die Zeit auf dem Schiff war eine der schönsten Zeiten meines Lebens», sagt sie.

Man kann sagen, dass die «Sean o’Kelley» heute selbst ein Schatz ist. Damals war es noch ein wenig anders: Da lagerten die Schätze unter Deck. «Wenn wir auf der Straße spielten, bin ich ja mit dem Korb herumgegangen», erzählt Joey. Das gesammelte Geld habe man dann im Frachtraum gelagert, meist in alten Post-Kisten. Regelrechte Berge seien es gewesen. «Es häufte sich, weil ja etwas Arbeit nötig war, um die Münzen zur Bank zu bringen. Die mussten nämlich alle vorher gerollt werden», sagt er. «Dafür hatten wir aber oft keine Zeit.»

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