Die Rapper-Klischees sind klar: Dicke Autos, dicke Hose, harte Typen – und oft frauenfeindliche Texte. Kritik und Diskussionen über Rap-Zeilen, deren Inhalte von Beleidigungen bis zu Vergewaltigungsfantasien reichen, gibt es schon seit Jahren.
Während die eine Seite sprachlichen Frauenhass und Gewaltverherrlichung kritisierte, hieß es von der anderen: Rapper sind Kunstfiguren, verbale Grenzüberschreitungen gehören dazu. Doch nun geht es in großem Ausmaß nicht mehr nur um gerappte Zeilen, sondern um konkrete Schilderungen sexualisierter Gewalt und Belästigungen in der Szene.
Die Initiatorinnen der Instagram-Seite deutschrapmetoo erhalten nach eigenen Angaben jeden Tag Nachrichten, in denen es um solche Vorwürfe geht. «Es ist insgesamt natürlich sehr bedrückend. Manchmal weiß man auch überhaupt nicht, was man sagen soll, weil es so schrecklich und schlimm ist, was den Betroffenen passiert ist», sagen zwei von ihnen der Deutschen Presse-Agentur im Interview.
Sie wollen anonym bleiben – und helfen. Sie wiesen die Betroffenen etwa auf Beratungsstellen oder die Möglichkeit für psychologische Beratung hin. «Vor allem ist die Dimension schlimm und dass diese Strukturen einfach so normal sind, dass so viele Vorfälle überall passieren.» Langfristig wollen sie auch Namen von Künstlern öffentlich machen, gegen die Vorwürfe erhoben werden.
Die deutsche Rap-Szene hat seit einigen Wochen also ihre eigene #MeToo-Thematik. Auslöser dafür, dass die Debatte so groß wird, sind Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Rapper Samra, die dieser öffentlich zurückweist. «Ich habe niemanden vergewaltigt, weder die Person, die mich dessen beschuldigt, noch andere Menschen», teilte Samra Mitte Juni via Instagram mit. Zuvor hatte die Influencerin Nika Irani schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben. Ob diese sich bewahrheiten oder nicht, ist unklar, doch sie stoßen eine Debatte an.
In der Folge schildern viele Nutzerinnen in sozialen Medien ihre Erfahrungen. Einige auf ihren eigenen Accounts, andere wenden sich an deutschrapmetoo. Der Hashtag trendet. Mehr als 200 Schilderungen habe man bisher erhalten, sagt eine der Initiatorinnen. Einige davon machen sie anonymisiert öffentlich, mit einer Warnung vor den Inhalten. Es geht um Situationen bei Konzerten und auf Partys, in Tour-Bussen, Backstage-Bereichen und Hotelzimmern. Es geht vor allem auch um Schilderungen von sexueller Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung.
Aus der Szene selbst gibt es auch eindeutige Wortmeldungen. «Ich habe in den letzten zwölf Jahren in der Rap-Welt von so vielen Fällen von sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen gehört, sie selbst mitbekommen, oder am eigenen Leib erlebt, dass es Monate dauern würde, all die Erlebnisse zu (er)zählen oder in ihren fürchterlichen Details zu rekonstruieren», schreibt die Hip-Hop-Journalistin Visa Vie bei Instagram. Die meisten Betroffenen schwiegen, weil sie in ihrem eigenen Verhalten eine Schuld sähen, aber auch, weil die Täter von ihrem Umfeld geschützt würden. «Für einen großen Teil dieser Szene war das die letzten 20 Jahre ein absolut selbstverständlicher Bestandteil des Tour- und Rapper-Lebens.»
Auch Deutschlands aktuell wohl erfolgreichste Rapperin, Shirin David, äußert sich in einer Instagram-Story und wird daraufhin selbst attackiert. Sie kritisiert unter anderem, wie schnell immer wieder versucht werde, Betroffene zu diskreditieren und nimmt die Szene in die Pflicht. Auch Visa Vie und die Initiatorinnen von deutschrapmetoo fordern eine ehrliche Auseinandersetzung mit diesen Problemen. Die Musikindustrie stehe ebenfalls in der Verantwortung. «Plattenfirmen sollten Musiker nicht mit Texten durchkommen lassen, die Vergewaltigungen romantisieren. Sie sollten einen moralischen Kompass haben, weil man weiß, dass die Hörerschaft 13 bis 18 Jahre alt ist», sagen die Initiatorinnen.
Der Bundesverband der Musikindustrie erklärt in einem Statement, dass man die aktuelle Debatte «sehr ernst» nehme. «Es geht dabei um sehr tiefgreifende Vorwürfe, die sich grundsätzlich nicht alleine unserer Branche bzw. einzelnen Wirtschaftszweigen oder bestimmten Genres zuordnen lassen», heißt es darin. «Selbstverständlich gilt es jedoch, Verantwortung zu übernehmen und an den entscheidenden Stellen entsprechend zu handeln, was nach unserer Wahrnehmung auch geschieht.»
Dass viele Rapper eine Migrationsgeschichte haben und aus weniger wohlhabenden Teilen der Gesellschaft kommen, macht sie auch oft zu einem gern genommenen Feindbild. Dabei zeigen unter anderem die #MeToo-Enthüllungen in der Filmbranche, die Schilderungen junger Politikerinnen über Sexismus-Erfahrungen in «Zeit Campus» und die schiere Anzahl der Fälle, dass es um ein generelles Problem der Gesellschaft geht.
Das sagen auch die Initiatorinnen von deutschrapmetoo. Natürlich herrsche in der Szene mitunter ein Männlichkeitsbild, das dringend hinterfragt und verändert werden müsse, sagen sie. «Das ist aber nicht nur in der Musik so. Der Deutschrap spiegelt unsere Gesellschaft überspitzt wieder.» Es müsse ein langfristiger Diskurs darüber stattfinden.
Am Ende bleibt also die Erkenntnis: Die deutsche Rap-Szene muss sich wohl genauso wie viele andere Bereiche der Gesellschaft ernsthaft mit gefährlich übertriebenem Machoverhalten (Stichwort toxische Männlichkeit) und den Folgen auseinandersetzen.