Wer an die Horrorgeschichten von Spannungsmeister Stephen King denkt, hat ganz sicher nicht einen solchen Plot im Sinn. Sein neuer Roman handelt weder von gruseligen Clowns wie in «Es» oder einer rachsüchtigen Highschool-Schülerin wie in «Carrie» – stattdessen beginnt «Holly» nach einem kurzen Prolog damit, dass die Mutter der Hauptfigur in einem Pflegeheim an den Folgen einer Corona-Infektion stirbt. King erklärt sogar, sie sei Impfskeptikerin und Trump-Anhängerin gewesen. Privatdetektivin Holly Gibney leidet nicht nur unter dem Tod der Frau – es macht sie fassungslos, dass er Mitte 2021 so unnötig scheint.
Es ist nur der erste von vielen politischen Akzenten, die King in seinem neuen 640 Seiten starken Wälzer setzt. Der 76-Jährige ist als Trump-Kritiker bekannt und diese Ablehnung zieht sich auch durch «Holly». Doch es entspinnt sich auch ein traditioneller Plot, der Horror- und Thriller-Elemente mischt.
Ein gleich zu Beginn der Geschichte als Täterpaar benanntes Senioren-Duo entführt Menschen, sperrt sie im Keller in einem Käfig ein und tötet sie. Schnell wird das Motiv klar: Das Professorenpaar glaubt daran, die toten Körper als Jungbrunnen für sich nutzen zu können. Abgesehen davon zeigt aber der Titel schon, wie sehr das Buch um seine Heldin kreist und wie überzeugt King von ihr ist.
Das Innenleben der Heldin wird ausgeleuchtet
2014 erstmals in «Mr. Mercedes» aufgetaucht, verwendet King auch in «Holly» viel Zeit auf das Innenleben seiner Heldin. Aber auch diese ruhigeren Passagen geraten nie langweilig. Dafür ist die Privatdetektivin eine zu vielschichtige und interessante Protagonistin: schüchtern im Umgang mit anderen, aber zielstrebig in ihrer Arbeit. Selten übermütig oder unangenehm selbstsicher, dafür aber geprägt von ihren Selbstzweifeln.
Genauso aus dem Leben abgeschaut scheint aber auch das früh enttarnte Mörderpaar. Ihre Freundlichkeit und die gute Integration in die College-Kreise der Kleinstadt machen sie besonders und auch in der Beschreibung ihrer Taten bleibt King im Laufe des Buchs recht unblutig.
Ähnlich wie in Michael Hanekes «Funny Games» mit seinen grinsenden Nachbar-Mördern entsteht auch hier der Horror dadurch, dass alltägliche Charaktere beschließen, sich nicht an Regeln des Zusammenlebens zu halten, sondern stattdessen zu töten – und vielleicht ist es genau der wahre Grusel zu bemerken, dass auch die Leser in einem solchen Fall den Tätern hoffnungslos ausgeliefert wären.
Zum Glück zeigt dieser ausschweifende Gesellschaftsroman mit Bezügen zu Rassismus und Donald Trump auch, dass es am Ende keine andere Wahl als die von Holly gibt: Man muss dem Horror begegnen, um ihn zu bekämpfen.