Auf halbem Wege zwischen Prag und Dresden liegt eine Festungsstadt mit starken Mauern, die heute Terezin heißt. Im Zweiten Weltkrieg war sie ein Ort des nationalsozialistischen Terrors. Zehntausende deportierte Juden aus ganz Europa mussten dicht zusammengedrängt im Ghetto Theresienstadt hausen.
Trotz aller Widrigkeiten bemühten sich die Eingesperrten um so etwas wie ein Kulturleben. Vor 80 Jahren – am 23. September 1943 – wurde die Kinderoper «Brundibar» erstmals im Ghetto aufgeführt.
Auf der Bühne auf dem Dachboden der ehemaligen Magdeburger Kaserne standen damals ausgemergelte jüdische Kinder in einfachen Kostümen. Im Publikum saßen ihre Altersgenossen. «Für die Kinder war es ein Ausbruch aus der grauen Realität des Ghettos», sagt die Historikerin Radana Rutova von der Gedenkstätte Terezin. Es sei überfüllt gewesen, Hunger und Krankheiten hätten den Alltag geprägt. Und doch habe der Jüdische Ältestenrat versucht, den Kindern das Leben wenigstens ein bisschen erträglicher zu machen.
Die Vorstellung dauert nur 35 Minuten
An die historischen Ereignisse wird diesen Samstag erinnert. Eine Schulklasse des Gymnasiums Wülfrath in Nordrhein-Westfalen wird «Brundibar» am Originalort aufführen. Der Lehrer und Pfarrer Klaus-Peter Rex hat die Kinderoper zuvor bereits mit Schülern etwa in der jüdischen Gemeinde in Riga und vor einem Zeitzeugen in einem Kibbuz in Israel auf die Bühne gebracht.
«Die Schüler waren zunächst etwas reserviert, weil es nicht ganz so einfach ist von der Musik her», sagt Rex zu den Anfängen seines Projekts. Doch das habe sich schnell gegeben, denn sie hätten gemerkt, dass es machbar sei. Als Vorteil habe sich dabei die Kürze des Stücks erwiesen. Eine Vorstellung dauert rund 35 Minuten. Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust, sagt Rex, sei für die Schüler «sehr intensiv» gewesen.
Die Geschichte von «Brundibar» handelt von zwei Kindern, Pepicek und Aninka, deren Mutter schwer krank ist. Der Arzt empfiehlt ihnen, ihr Milch zu besorgen, doch haben die beiden kein Geld. Auf dem Markt wollen sie wie der Leierkastenmann Brundibar mit ihrem Gesang Geld verdienen, doch sie werden als Störenfriede verjagt. Erst mit Hilfe von Katze, Hund und Spatz gelingt es ihnen, alle Kinder der Stadt zusammenzutrommeln und sich gegen Brundibar durchzusetzen. «Brundibar ist besiegt», ertönt es am Ende der Kinderoper triumphierend.
Erste Aufführung in Prag
Viele erkennen in Brundibar Hitler wieder – nicht zuletzt, weil er in der Theresienstädter Aufführung einen falschen Bart trug. Im Tschechischen ist «brundibar» eigentlich ein lautmalerisches Wort für eine Hummel. Tatsächlich schrieb der Schriftsteller Adolf Hoffmeister das Libretto für die Oper bereits 1938.
Zur ersten Aufführung der Prager Urfassung mit der Musik von Hans Krasa kam es an der Jahreswende 1942/1943 im Jüdischen Waisenhaus in Prag. Nach seiner Deportation ins Ghetto Theresienstadt verfasste Krasa eine neue Fassung auf Basis des Klavierauszugs mit teils geändertem Text. Nach der Erstaufführung im Ghetto folgten bis zum Ende des Krieges rund 55 Reprisen.
Die deutschen Besatzer missbrauchten die Kulturschaffenden, um die Weltöffentlichkeit über ihre wahren mörderischen Absichten hinwegzutäuschen. Als im Juni 1944 in Theresienstadt eine Rotkreuz-Delegation erwartet wurde, kam auch ein Auszug aus «Brundibar» aufs Besuchsprogramm. «Weil den Nationalsozialisten die Kulissen zu schäbig vorkamen, musste der Architekt Frantisek Zelenka über Nacht zu Propagandazwecken neue, schönere Kulissen schaffen», berichtet die Historikerin Rutova.
Nach Auschwitz verschleppt
Die Realität sah ganz anders: Die Nationalsozialisten verschleppten Krasa und die Mehrzahl der «Brundibar»-Darsteller nach Auschwitz und in andere deutsche Vernichtungslager, wo sie ermordet wurden. Von den insgesamt 141.000 ins Ghetto Theresienstadt Deportierten überlebten nach Einschätzung von Historikern nur etwa 23.000 Menschen den Holocaust.
Erst 1991 wurde die Kinderoper «Brundibar» wiederentdeckt und vom Disman-Rundfunkkinderchor neu aufgeführt. Schulklassen aus Ländern wie Tschechien und Deutschland, Italien und Spanien machten einen Großteil der Besucher des Ghetto-Museums aus, berichtet Rutova – manche kämen nur wegen «Brundibar».
Trotz der vielen Besucher sind Teile der Stadt und damit des einstigen Ghettos seit Jahren dem Verfall ausgeliefert, wie etwa die früheren Dresdner Kasernen. Hoffnung für den Erhalt des Mahnmals macht, dass die tschechische Regierung vor wenigen Tagen bis zu 70 Millionen Euro für Renovierungsarbeiten in den beiden böhmischen Festungsstädten Terezin und Josefov gebilligt hat.