Filmvorführung auf der Piazza Grande beim 76. Internationalen Filmfestival in Locarno. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa)

Frauen-Power am Lago Maggiore: Weibliche Hauptfiguren in Filmen von Regisseurinnen haben die erste Halbzeit des noch bis zum Samstag stattfindenden 76. Internationalen Filmfestivals in Locarno dominiert.

Die Heldinnen und Anti-Heldinnen vieler Spielfilme im 17 Werke aus aller Welt zeigenden Wettbewerb um den Hauptpreis, den Goldenen Leoparden, beeindrucken mit großer Kraft. Diese nutzen sie oft klug im Kampf gegen eine gewaltgeladene männliche Dominanz. Dabei begeistert die Genrevielfalt. Von der Komödie über den Horrorschocker bis zum Drama gibt es eine anregende Vielfalt der Erzählformen.

Vielfältige Frauenschicksale

Herausragend im internationalen Wettbewerb: «Animal». Die griechische Autorin und Regisseurin Sofia Exarchou erkundet in diesem Spielfilm den Alltag von Animateuren in einem Ferienressort. Geleitet wird die Truppe von der Enddreißigerin Kalia (Dimitra Vlagopoulou). Verschiedene Vorkommnisse zwingen sie, sich der Frage zu stellen, ob es nicht besser wäre, auf den einen oder anderen Euro zu verzichten und dafür ein würdevolles Leben zu führen.

Mitreißend ebenso: Agathe (Renée Soutendijk), die Hauptfigur des Dramas «Sweet Dreams» von der in Amsterdam lebenden bosnischen Autorin und Regisseurin Ena Sendijarevic. Agathe lebt 1900 als Gattin eines niederländischen Plantagenbesitzers im indonesischen Archipel. Einheimische und Frauen sieht ihr Mann generell als minderwertig an. Doch Agathe findet einen Weg, der Tyrannei zu entkommen.

Die Niederländerin Renée Soutendijk, vor vier Jahrzehnten im deutschen Thriller «Abwärts» zum europäischen Star avanciert, gilt bisher neben der Griechin Dimitra Vlagopoulou als eine der aussichtsreichsten Anwärterinnen auf die Auszeichnung als beste Schauspielerin dieses Wettbewerbs. Zu ihnen gesellt sich die Rumänin Ilinca Manolache im neuen Film ihres Landsmannes Radu Jude. Der wurde 2021 berühmt, als er für «Bad Luck Banging or Loony Porn» den Goldenen Bären der Internationalen Filmfestspiele Berlin bekam.

Eine verbotene Liebe beeindruckt

In «Do Not Expect Too Much of the End of the World» («Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt») zeigt Radu Jude als Autor und Regisseur den Alltag junger Frauen in der Zeit des sogenannten Sozialismus‘ und heute. Zentrale Figur ist die von Ilinca Manolache verkörperte Angela. Sie wird von einem internationalen Konzern als Hilfskraft einer Filmproduktion ausgebeutet. Der Film selbst bleibt eher an der Oberfläche. Ilinca Manolaches Porträt der Angela aber prägt sich nachhaltig ein.

Das bisherige darstellerische Glanzlicht des Festivals aber hat die aus Island stammende 26-jährige Isold Halldórudóttir mit ihrem Schauspiel-Debüt in der Hauptrolle des Dramas «Touched» gesetzt. Sie verkörpert mit enormer Intensität und Sensibilität Maria, eine junge Pflegerin, die sich in einen querschnittsgelähmten Patienten verliebt. Die Folgen dieser «verbotenen Liebe» sind so unvorhersehbar wie drastisch.

Isold Halldórudóttir (l) als Maria und Stavros Zafeiris als Alex in einer Szene des Films „Touched“ von Regisseurin Claudia Rorarius.

«Touched» der deutschen Autorin und Regisseurin Claudia Rorarius läuft im Nachwuchs-Wettbewerb «Cineasti del presente» («Filmemacher der Gegenwart). Eine ungewöhnliche Lovestory von verblüffender Wahrhaftigkeit. Trotz einiger sehr heftiger Sexszenen fesselt der Film vor allem mit leisen Mitteln. Die Geschichte schleicht sich sozusagen in die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer ein und wird genau deshalb unvergesslich. Viele erwarten für den Film mindestens einen der Preise dieses Wettbewerbs.

Im Hauptwettbewerb hat der mit deutschem Produzentengeld, etwa vom rbb, gedrehte Spielfilm «Stepne» («Steppe») der ukrainischen Regisseurin und Drehbuchmitautorin Maryna Vroda Aussichten auf eine Ehrung. In strengen Bildfolgen beleuchtet der Film das Erbe der Sowjetzeit in der heutigen Ukraine, fern des Krieges auf dem kargen Land. Spannung und Anspruch sind geschickt miteinander verwoben. Diese Mischung wird in Locarno traditionell gern ausgezeichnet. Vergeben werden die Preise am Abend des 12. August während einer Gala unterm Sternenzelt.

Copyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten, Von Peter Claus, dpa

Von