Gerhard Schröder ist bekannt als Freund deftiger Kost, bei Wahlkampfauftritten wollte er früher auch schon «mal ’ne Flasche Bier».
Jetzt sieht sich der Alt-Bundeskanzler (77) veranlasst, seine Liebe zur Currywurst öffentlich zu bekräftigen – wegen einer Veggie-Offensive «seines» alten Unternehmens Volkswagen, das er während der Zeit als Ministerpräsident lange mitkontrollierte.
«Wenn ich noch im Aufsichtsrat von #VW säße, hätte es so etwas nicht gegeben», grantelte Schröder auf der Online-Plattform LinkedIn. Als einstiger Vertreter des Landes Niedersachsen – dem zweitwichtigsten Anteilseigner – im größten deutschen Unternehmen ärgere er sich über die Abschaffung der berühmten VW-Currywurst in einer Werkskantine. «Vegetarische Ernährung ist gut, ich selbst mache das phasenweise auch», so Schröder. «Aber grundsätzlich keine Currywurst? Nein!»
Seine Frau Soyeon Schröder-Kim legte am Mittwoch nach. «Wir gehen gerne zu Konnopke, Curry 36 und Bier’s Kudamm 195», schrieb die Koreanerin bei Instagram und verwies auf die Berliner Treffpunkte. Dazu ist das Ehepaar beim Verzehr von Wurst und Pommes zu sehen. «Natürlich mit einer Flasche Bier», hieß es weiter.
Ob die Einlassungen vollkommen ernst gemeint sind, sei dahingestellt. Der SPD-Altkanzler warf jedoch die Frage auf, ob ein Aus für das Grillfleisch wirklich im Interesse der Beschäftigten sei: «Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben.» Die Resonanz auf das prominente Plädoyer jedenfalls ist beträchtlich, nachdem die Kantinenpläne schon zu Beginn der Woche das Netz umgetrieben hatten.
Was war passiert? Von einer Totalabschaffung der Currywurst kann im größten Autokonzern Europas eigentlich keine Rede sein. VW hatte intern erklärt, dass das Betriebsrestaurant im Markenhochhaus der Zentrale nach dem Werksurlaub Ende August fleischfrei sein soll. Viele Kollegen wünschten sich vegetarische und vegane Alternativen. Zuletzt gab es im Vor-Corona-Jahr 2019 rund 7 Millionen Currywürste aus der VW-Fleischerei, dazu kamen mehr als 550 Tonnen Ketchup.
Vorstandschef Herbert Diess nutzte die Aufregung um die Wurst denn auch gleich, um bei LinkedIn seinerseits die Arbeit von Chefgastronom Nils Potthast vorzustellen. «Weniger Fleisch, mehr Gemüse, bessere Zutaten – ein immenser Fortschritt, viel zeitgemäßer», meinte Diess. «Gutes Essen ist wichtig, es ist entscheidend für die Gesundheit, die Stimmung und damit auch für die Produktivität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.» Und: «Unsere Currywurst gibt es jetzt auch vegan.»
Die Ausweitung fleischloser Gerichte ist bei VW bisher eher als Zusatzangebot gedacht, manche Betriebslokale haben schon länger auch Vegetarisches und Veganes auf dem Speiseplan. Gleichzeitig wird die Currywurst vielerorts weiter serviert – nicht nur ein paar Meter von der Edelkantine entfernt, auf der anderen Straßenseite in Wolfsburg.
Schröder unterstrich: In Hannover wie in Berlin gebe es «exzellente Currywürste». «Darauf will ich nicht verzichten, und ich denke: Viele andere wollen das in ihren Betriebskantinen auch nicht.» Dazu setzte er den Hashtag #rettetdieCurrywurst. Dem Altkanzler, von 1990 bis 1998 niedersächsischer Regierungschef, folgen auf LinkedIn gut 64.000 User. Bis Mittwochnachmittag hinterließen knapp 2200 einen Kommentar. VW-Personalchef Gunnar Kilian deeskalierte: «Lieber Gerhard, mach Dir bitte keine Sorgen: Die #Volkswagen Currywurst bleibt.»
Dass Schröder eine Vorliebe für Gegrilltes hat, ist seit den 1990er Jahren bekannt. Als Kanzler weihte er dann 2002 einen US-Präsidenten in die heimische Esskultur ein: Für George W. Bush bestellte er am Pariser Platz in Berlin Currywurst und Apfelstrudel. Nach Angaben eines Restaurant-Managers zeigte der Deutsche indes mehr Appetit als sein amerikanischer Gast – es habe wohl an dessen Jetlag gelegen.
Wie er heute wohnt, lebt und isst, ist zum Teil im Instagram-Kanal von Schröders fünfter Ehefrau zu sehen. Dort teilt sie Rezepte koreanischer Gerichte oder Bilder von ihrem Mann am Herd. Die Speisen mit viel Gemüse und Fisch seien für ihn eine willkommene Abwechslung, erzählte Schröder-Kim 2020. Und erklärte: «Mein Mann hat sich auch früher nicht nur von Currywurst ernährt.»
Laut einer YouGov-Umfrage würden 21 Prozent der Deutschen es gutheißen, wenn Betriebskantinen nur noch auf Fleischloses setzten. 68 Prozent würden dies ablehnen, 10 Prozent machten keine Angabe. Bei VW hält man die Aufstockung des vegetarisch-veganen Angebots nicht nur für ein ernährungsphysiologisches oder geschmackliches Thema.
Weniger Fleischverzehr helfe auch der Umwelt. So ließ Diess durchblicken, dass er die Klima- oder Tierrechtsdebatte im Essen mitverankert sieht: «Unser Sternekoch will bis 2025 auch auf Fleisch aus Massentierhaltung verzichten – absolut richtig und wichtig!»
Das noch recht fern liegende Zieldatum freilich schmeckte nicht allen Followern. «Vorreiter sein wollen und dann erst in 4 Jahren auf Fleisch aus Massentierhaltung verzichten?», hieß es da etwa. Ein anderer schrieb: «Ich bin unbedingt dafür, nicht erst 2025(!), sondern vorher auf Fleisch aus Massentierhaltung zu verzichten. Das wäre ein großer Beitrag zur Gesundheit und zum Klimaschutz!»