Nach der Absage eines Konzertes der Münchner Philharmoniker mit ihrem israelischen Dirigenten Lahav Shani im belgischen Gent zeigen sich deutsche Politiker entsetzt. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer spricht von einer «Schande für Europa», Bayerns Kunstminister Markus Blume (CSU) von einem Antisemitismus-Skandal, die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, von einem der «krassesten Beispiele des aktuellen Judenhasses».

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, verurteilte die Entscheidung des Musikfestivals scharf und forderte Widerspruch. «Ich halte die Absage unter der genannten Begründung für einen ganz und gar unsäglichen und zutiefst antisemitischen Vorgang», sagte Klein der Deutschen Presse-Agentur.

Das Flanders Festival Ghent hatte die kurzfristige Absage des für den 18. September geplanten Konzertes damit begründet, dass der in Tel Aviv geborene Shani auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist. 

«Im Lichte seiner Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestras sind wir nicht in der Lage, für die nötige Klarheit über seine Haltung dem genozidalen Regime in Tel Aviv gegenüber zu sorgen», heißt es in einer Erklärung auf der Homepage des Festivals

Knobloch fand deutliche Worte für die Absage: «Wer in dieser Lage das historische Echo nicht hört, der stellt sich taub», sagte sie der dpa. «In so einer Umgebung ist es für mich auch kein Wunder, dass immer mehr jüdische Menschen ihre Zukunft in Europa mit einem dicken Fragezeichen versehen.»

Entsetzen in München und Berlin

Das Orchester und die Stadt München reagierten ebenfalls entsetzt auf die Ausladung. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sagte, er könne «die Entscheidung des Veranstalters in keiner Weise nachvollziehen». 

Das Festival betonte, Shani habe sich zwar in der Vergangenheit mehrfach «für Frieden und Versöhnung» ausgesprochen. In Übereinstimmung mit dem Aufruf des Kulturministers, des Stadtrats von Gent und des Kultursektors in Gent habe man sich aber entschieden, nicht mit Partnern zusammenzuarbeiten, die sich nicht eindeutig von «diesem Regime» distanziert haben.

«Aufgrund der Unmenschlichkeit der aktuellen Situation und der emotionalen Reaktionen auch in unserer Gesellschaft wollen wir das Konzert nicht stattfinden lassen», schreibt das Festival auf seiner Homepage. «Wir haben uns entschieden, die Ruhe unseres Festivals zu wahren und das Konzerterlebnis für Besucher und Musiker zu schützen.»

In dem seit 2023 andauernden Gaza-Krieg mit einer hohen Zahl an zivilen Opfern weisen Israel und auch die deutsche Regierung den Genozid-Vorwurf, also den Vorwurf des Völkermordes, zurück.

Auslöser des Gaza-Krieges war der Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen in Israel getötet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt worden waren, darunter auch Kinder. Israel spricht von Selbstverteidigung nach dem Terrorangriff.

Wolfram Weimer: «rote Linie überschritten»

Für Kulturstaatsminister Weimer ist mit der Ausladung Shanis eine Grenze überschritten. «Unter dem Deckmantel vermeintlicher Israel-Kritik wird hier ein Kultur-Boykott betrieben. Das ist blanker Antisemitismus und ein Angriff auf die Grundlagen unserer Kultur. Wenn es akzeptabel wird, deutsche Orchester und jüdische Künstler kollektiv auszuladen, ist eine rote Linie überschritten», sagte er.

«Europäische Bühnen dürfen nicht zu Orten werden, an denen Antisemiten den Spielplan diktieren. Das wird Deutschland nicht hinnehmen – wir werden das Thema auch in die europäische Kulturpolitik tragen.»

Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, forderte das Festival auf, die Entscheidung zurückzunehmen. «Es geht nicht an, dass Verantwortliche eines Festivals einen Musiker in Sippenhaft nehmen für die Handlungen, die Israels Regierung in Reaktion auf einen Terrorüberfall der Hamas derzeit vornimmt», sagte Bayerns Antisemitismusbeauftragter Ludwig Spaenle (CSU). Shani habe «sich nachdrücklich für Frieden ausgesprochen und damit deutlich vom Regierungshandeln Netanjahus distanziert».

Shani soll Nachfolger von Gergijew werden 

Der 36 Jahre alte Shani ist seit 2020 als Nachfolger von Zubin Mehta Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra. Im Februar 2023 ernannten die Münchner Philharmoniker ihn zu ihrem neuen Chefdirigenten, sein Amt soll er im September 2026 antreten.

Shani wird damit Nachfolger des Russen Waleri Gergijew. Dieser war rausgeworfen worden, weil er sich aus Sicht des Münchner Stadtrats nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nicht hinreichend von Russlands Präsidenten Wladimir Putin, als dessen Freund er gilt, distanziert hatte.

Kulturrat fordert differenziertere Debatte

«Wenn es nicht so traurig wäre, könnte der ganzen Situation eine gewisse Ironie abgewonnen werden», sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, der dpa zu Shani und seinem Vorgänger. «Ich denke, der aktuelle Fall zeigt ganz klar, dass mehr Differenzierung zwischen Kunst und Politik erforderlich ist. »