Wer in der Oper etwas Neues ausprobieren möchte, braucht nach Ansicht des Bayreuther «Parsifal»-Regisseurs Jay Scheib gute Nerven. «Ich habe im Theater gearbeitet, in der Oper und mit Rock-Bands und habe viele verschiedene Dinge gemacht», sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Und die Wahrheit ist: Wenn man etwas machen will, das es vorher noch nie gab, dann muss man einen langen Atem haben, Rückschläge wegstecken und sich selbst treu bleiben – egal, welchen Lärm es drumherum gibt.»
Der 53-Jährige schreibt in diesem Jahr ein bisschen Festspiel-Geschichte, denn er bringt die virtuelle Welt auf den Grünen Hügel. Scheib, Professor für Musik und Theaterkunst am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), erzählt die Geschichte der Richard-Wagner-Oper um die Gralsritter in einer Augmented-Reality-Version. Dabei wird das Geschehen auf der Bühne dank entsprechender Brille durch virtuelle Elemente ergänzt.
«AR wird in deutschen Theatern – im Gegensatz zu VR – noch wenig genutzt», sagt die Chefredakteurin des Theatermagazins «Die Deutsche Bühne», Ulrike Kolter. «VR-Projekte gibt es hingegen schon ein einige. Das Staatstheater Augsburg ist da absoluter Pionier. Die haben schon vor der Pandemie angefangen, Brillen mit virtuellen Produktionen zu bespielen, und konnten davon in der Corona-Zeit natürlich profitieren.»
Zur neuen Spielzeit wird ihren Angaben zufolge auch das Staatstheater Nürnberg in der neuen Spielstätte XRT mit der Verbindung von analogem und digitalem Theater experimentieren.
Der Bayreuther «Parsifal» sei nun «von den AR-Projekten an deutschen Bühnen eines der größten, das mir bekannt ist, und es hat natürlich eine immense Signalwirkung, wenn Bayreuth so etwas macht», sagt Kolter. «In Bayreuth sind die Möglichkeiten für Experimente begrenzt. An der Musik kann man nichts ändern, die Werkauswahl ist begrenzt, da bieten sich die Bühnenelemente als Spielwiese an. Und das Ganze passt natürlich zu der Richtung, die Katharina Wagner seit ein paar Jahren eingeschlagen hat, um das Haus zukunftsfähig aufzustellen und auch ein jüngeres Publikum zu erschließen.»
Ganz einfach war der Weg aber nicht, wenn man Scheib so zuhört: «Wenn man etwas Neues macht, muss man die Nerven bewahren. Es wird immer jemanden geben, der sagt, es sei technisch oder finanziell unmöglich. Aber das Risiko gehört nun mal zum Theater dazu», sagt er.
Der kaufmännischen Geschäftsführung der Festspiele war das finanzielle Risiko allerdings wohl etwas zu groß – und darum wird nur ein kleiner Teil der knapp 2000 Zuschauer im Festspielhaus den virtuellen Teil der neuen Inszenierung von Wagners «Bühnenweihfestspiel» sehen können. Nur 330 solcher Brillen wurden angeschafft. Die Tickets mit AR-Brille sind teurer.
«Die AR ist da, um uns einen Blick erhaschen zu lassen in eine Welt, in der es noch Visionen geben kann und wo noch Dinge existieren, auf die wir nicht mehr achten», sagt Scheib. «Wir werden die Mauern explodieren lassen, wir werden sie verschwinden lassen und das szenische Design fast bis zur Unendlichkeit ausweiten. Dinge werden durch die Luft fliegen.»
Aber auch die rund 1700 Menschen ohne AR-Brille bekommen etwas zu sehen, wie Scheib verspricht: «Auch ohne die Brillen ist die Produktion eine vollwertige – mit komplettem Design, kompletten Kostümen.» Die Inszenierung sei dann aber «anders, ruhiger».