«Upside, inside, out»: Schwingende Hüften in locker sitzender Lederhose, ausdrucksstarke Armbewegungen, ein verführerischer Blick – so wurde Ricky Martin 1999 mit «Livin‘ la Vida Loca» zum Superstar.
Der Puerto-Ricaner war damals trotz seiner jungen Jahre schon ein alter Hase im Showgeschäft. Heute, vor seinem 50. Geburtstag an Heiligabend, wirkt er glücklicher und ausgeglichener als damals, auf dem Höhepunkt seiner Karriere.
Das hat zum einen damit zu tun, dass der prototypische Latin Lover inzwischen Familienvater ist – eine Rolle, die ihm gefällt: «Ich habe immer gesagt: Ich will die Tür öffnen und viele Kinder auf mich zulaufen sehen, wenn ich jeden Tag von der Arbeit nach Hause komme», verriet er vor wenigen Monaten dem Magazin «People».
Zum anderen hat er sich einer jahrelangen Last entledigt, indem er sich im Jahr 2010 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hat. Seit etwa vier Jahren ist er mit dem syrisch-schwedischen Künstler Jwan Yosef verheiratet. Sie hatten sich über Instagram Nachrichten geschrieben und erst nach einem halben Jahr persönlich getroffen. Ein Werk Yosefs hatte Martin gefallen, wie er in Interviews erzählt – und ein Foto des Künstlers noch mehr.
Das Paar hat vier Kinder: 13-jährige Zwillingsbrüder, eine fast drei Jahre alte Tochter und einen zweijährigen Jungen. Martin erzählte «People», dass er 27 000 Mal pro Tag das Kinderlied «Baby Shark» singen müsse. Die kleine Lucía kritisiere ihn, wenn er dabei die falschen Handbewegungen mache.
Sein Ding sind ja auch eher die Hüftschwünge, die Martin zu einem globalen Sex-Symbol machten. Das fing schon früh an: Mit zwölf Jahren wurde er in die puerto-ricanische Boygroup Menudo aufgenommen. Als Kind – in einer großen Mittelschichtfamilie mit geschiedenen Eltern in der Hauptstadt des karibischen US-Außengebiets, San Juan – hatte er schon Rollen in Werbungen gehabt.
Menudo war 1977 gegründet worden und war bis in die 1990er hinein mit wechselnder Besetzung immens erfolgreich. Fast wie bei den Beatles wurden die fünf Teenager, die auf Spanisch sangen, überall auf der Welt von kreischenden weiblichen Fans begrüßt. Als sie 1984 in der Sendung von Oprah Winfrey auftraten, nannte die US-Talkerin den Kleinsten, Martin, «das süßeste, was ich je gesehen habe».
Er blieb fünf Jahre lang in der Band. Danach lebte er eine Zeitlang in Mexiko, spielte in Telenovelas mit und nahm seine ersten Solo-Alben auf. Er bekam eine Rolle in der US-Seifenoper «General Hospital» und begann, statt nur Balladen auch Tanzbares zu singen.
Die Single «María» von seinem dritten Album – dem 1995 erschienenen «A medio vivir» – war sein erster Hit in Europa. Noch erfolgreicher wurde «The Cup of Life», der offizielle Song der Fußball-WM 1998. Martin führte ihn bei den Grammys 1999 auf. Nach dem mitreißenden Auftritt wurde er nun auch in den USA gefeiert.
Es folgte im selben Jahr das erste englischsprachige Album, «Ricky Martin», und der endgültige Durchbruch zum Superstar mit «Livin‘ la Vida Loca» (etwa: ein wildes Leben führen). Das ebnete auch den Weg für eine globale Explosion des Latin Pop mit Stars wie Jennifer Lopez, Shakira und Enrique Iglesias. «Ohne Zweifel hat er einer ganzen Generation von Latino-Künstlern die Türen geöffnet», sagte sein Landsmann Bad Bunny in der MTV-Dokureihe «Behind the Music».
Nach dem verheerenden Tsunami flog er Anfang 2005 nach Thailand, um mit seiner Stiftung zu helfen. Er hielt dort ein Baby in den Armen, das seine Familie verloren hatte. Die Erfahrung bewegte Martin zu einer einschneidenden Entscheidung, wie er MTV sagte: «Ich habe gesagt: Okay, ich muss auf jeden Fall so schnell wie möglich Vater werden.» Wenige Jahre später, 2008, brachte eine Leihmutter die Zwillinge Matteo und Valentino zur Welt.
Eine Sache trübte Martins Glück lange: Ständig wurde in der Öffentlichkeit über seine sexuelle Orientierung spekuliert; er war nach eigenen Angaben verwirrt und hatte Angst. Es dauerte bis 2010, bis er bereit war, sich als schwul zu bekennen – unter anderem mit der Überlegung, dass seine Kinder nicht für ihn lügen müssen sollten. «Ich bin stolz, zu sagen, dass ich ein glücklicher homosexueller Mann bin», schrieb er auf seiner Website. Wenig später erschien seine Autobiografie «Ich».
Als «Tsunami der Liebe» beschrieb Martin im «People»-Interview die Reaktionen auf sein Coming-Out. Es habe sich toll angefühlt. Heute ist Martin eine schwule Ikone und gefällt sich in der Rolle. Er wolle heilen, sagte er MTV – seine eigene Seele wie auch andere.
Auch politisch ist er nun aktiv. Im Juli 2019 war Martin – zusammen mit den anderen puerto-ricanischen Musik-Stars Bad Bunny und Residente – bei Massenprotesten in San Juan dabei. Diese führten zum Rücktritt des Gouverneurs Ricardo Rosselló, dem unter anderem Korruption vorgeworfen wurde.
Martin ist umtriebig, tritt in Filmen und Musicals auf, ist als Coach in Casting-Shows in verschiedenen Ländern dabei und hat in eine neue, immersive Audio-Aufnahmetechnik investiert.
Als er in der Pandemie nicht mehr touren konnte, ging er ins Studio und nahm eine EP mit ruhiger Musik namens «Pausa» (Pause) auf. Jetzt will er aber wieder auf die Tube drücken. Vom September bis November war Martin mit Enrique Iglesias auf Nordamerika-Tour. Die nächste EP soll «Play» heißen und weniger ruhig sein. Nach der Pandemie sei es Zeit, wieder zu spielen, erklärte er in «People».
«Wir sind seit eineinhalb Jahren zu Hause eingeschlossen», sagte Martin. «Es ist an der Zeit, wieder rauszugehen und sich lebendig zu fühlen.» Zurück also zur «Vida Loca».