Seit Beginn der documenta fifteen Mitte Juni dreht sich wenig um die ausgestellte Kunst. Im Mittelpunkt steht vielmehr der Antisemitismus-Skandal, der kurz nach der Eröffnung über die Schau hereingebrochen ist, sich aber schon seit Monaten angebahnt hatte.
Wie es dennoch dazu kommen konnte, dass ein Werk mit antisemitischer Bildsprache ausgestellt wurde, war Gegenstand einer Podiumsdiskussion zum Thema «Antisemitismus in der Kunst» am Mittwochabend in Kassel. Bei der Veranstaltung betonte das Kuratorenkollektiv Ruangrupa erneut seine Dialogbereitschaft.
Lernen und Zuhören
«Wir sind hier, um zu lernen und um zuzuhören», sagte der Sprecher des indonesischen Kollektivs, Ade Darmawan, in einer Wortmeldung zu Beginn der Debatte. Er hoffe, die Veranstaltung sei ein Ausgangspunkt für Diskussionen. «Wir sind hier», betonte Darmawan, der die Debatte als Zuhörer verfolgte.
Die Bildungsstätte Anne Frank und die Trägergemeinschaft documenta gGmbH hatten gemeinsam zu dem Podium eingeladen, nachdem ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi nur wenige Tage nach dem Start der Schau abgebaut worden war. Schon seit Januar hatte es Antisemitismus-Vorwürfe gegen Ruangrupa gegeben.
An der Veranstaltung nahmen unter anderem der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, und Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin und Vorstandsmitglied der Kulturstiftung des Bundes, und der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, Doron Kiesel, teil.
Auch Hessens Kunstministerin Angela Dorn war gekommen. Sie betonte in ihrem Grußwort, das Podium könne nur der erste Schritt in der Aufarbeitung des Eklats sein. Die Grünen-Politikerin bekräftigte erneut die Notwendigkeit einer strukturellen Reform der documenta, wie sie Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) gefordert hatte.
Träger der Ausstellung ist eine gemeinnützige Gesellschaft, im Aufsichtsrat sitzen Vertreter von Land und Stadt. Dem Aufsichtsrat sitzt Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) vor, seine Stellvertreterin ist Angela Dorn. Darunter liegen die Geschäftsführung mit Generaldirektorin Sabine Schormann und künstlerische Leitung.
Roth droht mit weniger Geld
Roth will als Konsequenz aus den Vorkommnissen mehr Einfluss der Bundesregierung. Sie droht, andernfalls den Geldhahn zuzudrehen. Die Bundeskulturstiftung hatte sich 2018 aus dem Aufsichtsrat der documenta zurückgezogen, fördert die Schau aber weiterhin mit 3,5 Millionen Euro.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), lehnt Roths Forderungen vehement ab. Er drohte einen Alleingang der Stadt Kassel als Gesellschafterin an. Der Stadt sei es finanziell und auch ideell möglich, die Verantwortung für die documenta ohne Beteiligung Berlins zu tragen, hieß es in einem Brief an Roth, der der dpa vorliegt.
Hortensia Völckers, Vorstandsmitglied der Bundeskulturstiftung, kritisierte, dass der Aufsichtsrat anders als angekündigt nicht schon früher reformiert worden sei. Die Stiftung sei 2018 nach der Krise der documenta 14 ausgestiegen. Die Schau im Jahr 2017 war mit einem Defizit von 7,6 Millionen Euro abgeschlossen worden, vornehmlich verursacht durch die zwei Standorte in Athen und Kassel. Die Stadt Kassel und das Land Hessen als Gesellschafter waren für die Mehrkosten aufgekommen.
«Uns wurde damals gesagt, der Aufsichtsrat wird reformiert», sagte Völckers. «Das ist bis heute nicht geschehen.» Diese Debatte sei allerdings ein Scheingefecht. «Es ist immer leicht zu sagen, wären wir im Aufsichtsrat gewesen, wäre das nicht passiert. Ich hätte das auch nicht bemerkt. Ich hätte mich auch nicht jeden Tag hier rumgetummelt», räumte sie ein.
Erschüttertes Vertrauen
Meron Mendel identifizierte Kommunikationsprobleme, organisatorische Probleme und eine fehlende Debatte im Vorfeld als ursächlich für den Skandal. «Wir waren seit Januar nicht in der Lage, miteinander in einen Dialog zu kommen», sagte er. Da sehe er auch sein Versäumnis.
Doron Kiesel sprach von einer Erschütterung des Vertrauens in die Fähigkeit der Gesellschaft und «bestimmter Kreise auch der Verantwortlichen», mit der eigenen Geschichte umzugehen. Jeder, der in Deutschland lebe oder auftrete, habe sich mit ihr auseinanderzusetzen.