Wenn man Dieter Kosslick am Telefon hat, wirkt er ziemlich heiter. Fast zwei Jahrzehnte leitete er mit der Berlinale eines der größten Filmfestivals der Welt. Jetzt hat er seine Memoiren geschrieben.
Darin erzählt er nicht nur von den Eigenheiten mancher Weltstars (die Rolling Stones und die Baustelle, dazu später). Sondern er setzt sich auch mit der Zukunft auseinander.
Derzeit sind die Kinos wegen der Pandemie seit Wochen wieder geschlossen. Wird das Kino die Krise überstehen? «Ich glaube schon», sagt Kosslick. «Viele Leute bemerken jetzt Dinge, die sie vorher vergessen haben. Ob das nun das Kochen ist oder die Kultur.»
Er habe noch nie so viele Lobreden auf die Kultur gehört wie jetzt, seitdem die Kultureinrichtungen geschlossen sind. «Und von daher bin ich ziemlich überzeugt, dass das Kino sein Comeback haben wird. Aber es wird anders sein», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Was «anders» meint, kann man auch in seinen Memoiren nachlesen.
Kosslicks Buch «Immer auf dem Teppich bleiben. Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos» erscheint an diesem Dienstag (2. Februar). Kosslick erzählt darin unter anderem Anekdoten aus seiner Zeit bei der Berlinale – etwa wie er versuchte, den US-Schauspieler Bill Murray («Lost in Translation») zu erreichen.
«Ich war bei dieser Geschichte ein Greenhorn, wie man in Amerika sagt», sagt Kosslick. Ein Grünschnabel also. Er habe damals für das Festival den Film «The Royal Tenenbaums» von Wes Anderson bekommen, aber auch die Stars auf dem roten Teppich sehen wollen. Normalerweise organisiere das Filmstudio so etwas. «Aber es hieß immer: ‚Bill Murray kommt nicht.‘ Ich habe es dann auf eigene Faust versucht.»
Ihm sei gesagt worden, naja, wenn er Murray haben wolle, den könne man ja nicht anrufen, da gebe es «nur eine 800er-Nummer». «Da kann man kostenlos anrufen und auf ein Band sprechen. Und ich war so naiv und habe hundert Mal diese Nummer angerufen», sagt Kosslick heute und klingt dabei ziemlich amüsiert. «Bill Murray hat das in die Welt gesetzt, um Menschen wie mich loszuwerden.»
Mit seiner offenen Art leitete Kosslick die Filmfestspiele in Berlin von 2001 bis 2019. Mit Schal und Hut nahm er viele Gäste in Empfang. Darunter die Musiker der Rolling Stones. Deren Management verlangte Ruhe für die Band. Doch plötzlich habe es in der Nähe des Hotels eine Baustelle gegeben, die des Humboldt Forums, schreibt Kosslick.
«Ich griff zum Telefon, bestellte Bier für die Bauarbeiter-Mannschaft, und das Regent lieferte seine berühmten Sandwiches», schreibt Kosslick. «Das war der Deal: Essen und Trinken und die Baustelle pausierte, wenn die Stones im Hotel waren.» Der Bauleiter habe «glücklicherweise viel Verständnis» dafür gezeigt, dass eine Band wie die Rolling Stones ihre Ruhe brauche.
Die Memoiren erzählen von Kosslicks Werdegang von Pforzheim über Hamburg und Düsseldorf nach Berlin; von Eigenheiten der Branche – und ihrer Zukunft. Das Kino wird sich nach Einschätzung des 72-Jährigen auch wegen der Streamingdienste verändern. «Früher ist man ins Kino gegangen, um möglichst früh einen Film zu sehen. Jetzt sehen wir, dass manche Filme auch gleichzeitig online gestreamt werden.»
Zudem stehe die Welt vor einem ökologischen Umbau. Wenn die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, daran festhalte, «dass die EU bis 2050 klimaneutral zu sein hat, dann müssen alle dazu beitragen, dass der CO2-Ausstoß erheblich reduziert wird», sagte Kosslick. Dazu gehöre auch die Kunstszene. Zum Umbau von Kinos gebe es bereits ein Handbuch der Filmförderungsanstalt – da stehe viel drin, wie man Lüftung, Dämmung und auch das Essen verändern könne.
In seinen Memoiren beschäftigt sich Kosslick auch mit einem seiner liebsten Themen, dem Essen. Er schwärmt von «6 ½-Minuten-Eiern mit einem Tropfen feinstem Olivenöl und einem Blättchen Basilikum» – so habe er das mal beim Restaurantkritiker Wolfram Siebeck gegessen. Und er erzählt von seinem Abschied bei der Berlinale. Vor zwei Jahren endete seine Zeit als Direktor des Festivals.
Langeweile scheint aber auch jetzt nicht aufzukommen. Nach dem Buch will er nach eigenen Angaben erstmal eine Pause einlegen. «Ich habe so viele Hobbys. Ich kann backen, ich kann malen, ich kann Musik machen. Und ich habe einen kleinen Garten», sagte Kosslick. «Ich glaube, mir wird es tatsächlich nicht langweilig. Ich bin auch bisher nicht in das berühmte Loch gefallen. Nicht mal ins Golf-Loch.»
Dieter Kosslick, «Immer auf dem Teppich bleiben. Von magischen Momenten und der Zukunft des Kinos», 336 Seiten, geb. mit farbigem Bildteil, 25,00 (D) 25,70 (A) 33,90 (CH), ISBN: 978-3-455-00360-4