Berlin hat eine international gefeierte Ikone zurück. Mit der Neuen Nationalgalerie wird eines der markantesten Bauwerke der Hauptstadt wieder Teil des Kulturbetriebs.
Was der Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) Ende der 60er Jahre in riesigem Flachbau aus Stahl und gigantischen Glasfronten als Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts schuf, wurde zu einem Wahrzeichen moderner Architektur. Nach zehn Jahren Schließung und gut fünf Jahren komplizierter Sanierung durch ein Team um den britischen Stararchitekten David Chipperfield liegt die Verantwortung seit Donnerstag wieder in den Händen der Staatlichen Museen zu Berlin.
Anerkennung für die Arbeit gab es von Dirk Lohan aus Chicago. Der Mies-Enkel war als junger Architekt selbst Bauleiter für das 1965 bis 1968 errichtete Museum. «Mies van der Rohe wäre mit dem Resultat der Renovierung seines letzten und wichtigsten Gebäudes außerordentlich zufrieden und glücklich», sagte Lohan in einer Videobotschaft.
Der in Aachen geborene Mies war 1938 in die USA ausgewandert. Die Neue Nationalgalerie, im geteilten Berlin noch unweit der Mauer errichtet, blieb sein einziges Bauwerk nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland.
Die Neue Nationalgalerie gliedert sich deutlich in zwei Bereiche: unter dem quadratischen Flachdach mit 65 Meter langen Seiten erstreckt sich die enorme offene Halle, begrenzt nur von acht Meter hohen Glaswänden. Der Bereich war von Mies für Sonderausstellungen gedacht.
Das deutlich gedrungenere, loungeartige Basement ist neben den Funktionsbereichen in kleinere Ausstellungsräume für die Präsentation der Sammlung unterteilt, daran schließt sich der Skulpturengarten an.
«Im Schaffen von Mies ist es ein sehr wichtiges Projekt», sagte Chipperfield der dpa in Berlin. Der Bau sei der wohl bedeutendste des Architekten in Europa und eines der besten Beispiele seiner Arbeit überhaupt. Für Chipperfield, der die Berliner Museenlandschaft bereits mit dem spektakulären Wiederaufbau des Neuen Museums oder der James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel markiert hat, galt es bei der Neuen Nationalgalerie, Mies nicht zu übertrumpfen. «Die Herausforderung war, das Gebäude in der Intention des Architekten zu sanieren.»
Hinter der 140 Millionen Euro teuren Grundinstandsetzung verbirgt sich zunächst ein destruktiver Akt. Unter dem mächtigen Dach musste alles demontiert werden, etwa 35.000 Teile wurden zwischengelagert. Chipperfield nennt es «eine merkwürdige Erfahrung, ein Gebäude von solch unantastbarer Autorität zu zerlegen».
Teile des Prozesses hat der Künstler Michael Wesely festgehalten. Dafür montierte er vier Kameras, die mit täglich Hunderten von Bildern die Metamorphose der Architekturikone dokumentieren sollten. Einen Blick erlaubt Weselys Band «Neue Nationalgalerie 160401-201209».
Der alte Bau musste wieder ein nutzbares Museum werden. Die Konstruktion von Mies ist zwar eine Augenweide, wurde aber über die Jahrzehnte zunehmend verkehrsunsicher. So gab es etwa Bruch an den enormen Flächen in Einfachverglasung. Die Fenster sind derart groß, dass dafür nur in China ein Glasproduzent gefunden werden konnte.
Die klare, pure Linie der Halle ist erhalten. «Wir haben das Gebäude auf das reduziert, was es sein wollte», sagte Chipperfield. «Unsere Arbeit konnte nur auffallen, wenn wir einen Fehler machen. Also sind wir hoffentlich unsichtbar.» Neue Errungenschaften verbergen sich, etwa die Klimatechnik: Auch die gläserne Halle erfüllt nun auf fast der gesamten Fläche technische Standards für die Präsentation selbst hoch empfindlicher Kunstwerke.
An wenigen Stellen im Basement sind Änderungen sichtbar. Die Neue Nationalgalerie benötigte mehr Nutzflächen für Garderobe, Café oder Museumsshop. Chipperfield schuf unter der Terrasse ein neues Depot für die Kunstwerke.
So konnte die Garderobe im ehemaligen Gemäldedepot entstehen, der Shop rückte in das alte Skulpturendepot. Hier ist die neue Handschrift mit den nun freigelegten Deckenwaben und offenen Betonträgern zu erkennen. «In der Garderobe und im Buchshop passte es gut, einiges von der Struktur des Gebäudes in den Vordergrund zu holen», erläuterte Chipperfield. «Es ging nicht darum, unsere Spuren zu zeigen, sondern mehr vom Original freizulegen.»
Die große Überraschung im Basement ist nicht neu, funktioniert aber auch noch nach Jahrzehnten. Die Neue Nationalgalerie ist eines von weltweit vielleicht einer Handvoll Museen mit Teppichboden. Der Eindruck in diesen Räumen schwankt zwischen Wohnzimmer und Lounge.
«Eine Teppichlandschaft in dieser Großflächigkeit ist ein bisschen das Problem», sagte Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie, der dpa. Die Museumsleute waren gegen die Rückkehr des Belags, Denkmalschutzamt und Architekten haben sich durchgesetzt.
Jäger sieht auch Vorteile: «Der Mies-Bau sorgt für etwas, was in unserer Zeit, die so sehr von medialen Bildern und so viel Bewegung gekennzeichnet ist, Ruhe verströmt. Dieser Teppich sorgt für eine Beruhigung: Gucken Sie sich doch mal die Kunst an, was da an den Wänden hängt!» Probleme ergeben sich für das Kuratorenteam, «wenn man weggeht aus den 60er Jahren, zu denen dieser Teppich gehört, also etwa Kunst der 80er oder 90er Jahre zeigt. Oder auch der klassischen Moderne, die eher auf Parkett zu sehen war.»
Klassische Moderne wird ein Schwerpunkt sein bei der Wiedereröffnung im August. «Wir zeigen die Rückkehr der Sammlung. Das ist ganz wichtig, sie war lange nicht zu sehen.» Die große Halle werden Werke des US-amerikanischen Künstlers Alexander Calder (1898-1976) beherrschen. «Wir haben jetzt sehr viel Geld ausgegeben, um hier eine amerikanische Moderne zu rekonstruieren», sagte Jäger. «Da macht es Sinn, auch jemanden zu zeigen, der dazu passt, der das nicht konterkariert.» Calder mit seinen runden Formen und der spielerischen Leichtigkeit sei «der ideale Kandidat» für eine Ausstellung mit besonderer Raumerfahrung.
Apropos Raumerfahrung: direkt neben der Neuen Nationalgalerie entsteht als 450 Millionen Euro teures Schwesterhaus das umstrittene Museum des 20. Jahrhunderts der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron, die auch die Elbphilharmonie in Hamburg, das Olympiastadion in Peking und die Allianz Arena in München gebaut haben. Unterirdisch sollen beide Gebäude verbunden werden.
Die neue Nachbarschaft neben der Architekturikone wird je nach Funktion unterschiedlich bewertet. Jäger kann sich vorstellen, dass der Mies-Bau «langfristig kleiner wirken wird», aber eben «auch besonders cool ist und aus einem anderen Jahrhundert winkt.» Chipperfield hat höchsten Respekt vor den Architekturkollegen, ist aber skeptisch. «Wir werden sehen, was passiert», sagte er, «es ist hoffentlich weit genug weg.»