Mehrere Literaturnobelpreisträger und viele weitere preisgekrönte Autorinnen und Autoren bringen im Frühjahr neue Bücher heraus. Einige Romane handeln vom Verhältnis der Menschen zur Natur, etwa bei Orhan Pamuk oder Esther Kinsky. Bücher von Michel Houellebecq oder Sibylle Berg schlagen politische Töne an. Ein Überblick über wichtige Neuerscheinungen im ersten Halbjahr 2022.
Yasmina Reza schreibt über Auschwitz
Auch ein weiterer Roman aus Frankreich dürfte für Diskussionen sorgen. Ende Januar erscheint mit «Serge» das neue Buch von Yasmina Reza, der laut Hanser Verlag meistgespielten zeitgenössischen Theaterautorin. «Yasmina Reza hatte die verrückteste Idee des Jahres: eine Komödie über Auschwitz zu schreiben», hieß es von ihrem Schriftsteller-Kollegen Frédéric Beigbeder. «Serge» handelt von einer jüdischen Familie, die einen Besuch nach Auschwitz unternimmt. Dazu der Verlag: «Virtuos hält Reza das Gleichgewicht zwischen Komik und Tragik, wenn bei der touristischen Besichtigung die Temperamente aufeinanderprallen.»
Esther Kinsky horcht in die Landschaft hinein
Im Zentrum des neuen Romans von Esther Kinsky steht eine Naturkatastrophe. Die vielfach preisgekrönte Autorin hat sich zwei Erdbeben vorgenommen, bei denen 1976 im norditalienischen Friaul fast 1000 Menschen starben. In «Rombo» berichten sieben Bewohnerinnen und Bewohner eines abgelegenen Bergdorfs von ihren Leben nach den Erdbeben. Ein Auszug des Romans wurde bereits vor dem Erscheinen mit dem W.-G.-Sebald-Literaturpreis ausgezeichnet, wie der Suhrkamp Verlag informiert. Die Jury sah darin einen Text, «der in beeindruckender Weise eine Erinnerungspoetik des Gesteins und der Landschaft entfaltet».
Orhan Pamuk: Historischer Roman über die Pest
Auch der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk widmet sich in seinem neuen Roman einer Katastrophen-Erzählung. So erzählt Pamuk von der Pest, die 1901 auf einer fiktiven Insel im Osmanischen Reich ausbricht. Muslime und Christen beschuldigen sich gegenseitig, den Erreger eingeschleppt zu haben. Auf der Insel, die schließlich vom Sultan im Osmanischen Reich sowie England und Frankreich mit Kriegsschiffen blockiert wird, herrschen chaotische Zustände. Pamuks neues Buch «Die Nächte der Pest» verbinde raffiniert Fantasie und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart, Ost und West, schreibt der Hanser Verlag.
Doris Dörrie wird zur Heldin der eigenen Geschichte
Aus der Literaturgeschichte kennen wir die Heldenreise vor allem mit männlichen Protagonisten. Die in München lebende Doris Dörrie stellt in ihrem neuen Buch nun die Heldin in den Fokus. Die 66-Jährige erzählt in «Die Heldin reist» von drei Reisen – nach San Francisco, Japan und Marokko – «und davon, als Frau in der Welt unterwegs zu sein», schreibt der Diogenes Verlag. Sich dem Ungewissen auszusetzen heiße immer auch, den eigenen Ängsten ins Auge zu sehen. «Und dabei zur Heldin der eigenen Geschichte zu werden.»
Peter Handke entwirft ein «Zwiegespräch»
Der österreichische Literaturnobelpreisträger Peter Handke lässt in seinem neuen Buch zwei Sprecher auftreten. In ihrem Dialog tauchen Bilder und Erinnerungen auf. Der eine, so beschreibt es der Suhrkamp Verlag, «erinnert sich noch immer an jenen Theaterbesuch als Schulkind: nicht an das Stück, dafür an das Dekor, die Kulisse.» Als «Urbild» begegne es ihm seither auf Wanderungen. Der andere erinnere sich an seinen Großvater, der «am Isonzo und in Galizien in den Schützengräben lag und mit den Tieren auf seine Art umging, die Schlange auf den Rechen spießte und die Hornissen lebendig im hohlen Baum einmauerte.» Die Theaterbühne als Spielort, der Großvater als Spieler – das soll das Szenario sein, das Handke in dem schmalen Band beschreibt.
Karl Ove Knausgard schreibt nicht über sich selbst
Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgard ist eigentlich dafür bekannt, in seinen Romanen sich selbst zum Thema zu machen. «Der Morgenstern» erzählt nun aber von Figuren, die zumindest auf den ersten Blick nichts mit dem Leben des 53-Jährigen zu tun haben. Der Roman folgt neun Menschen während mehrerer Hochsommertage. Sommer in Norwegen – eigentlich eine beschauliche Zeit, wie es in der Ankündigung des Luchterhand Verlags heißt. Doch in der Welt des Romans ist etwas aus den Fugen geraten: «Krabben spazieren an Land, Ratten tauchen an überraschenden Stellen auf, eine Katze kommt unter seltsamen Umständen ums Leben. Kurzum: Die Tiere verhalten sich wider ihre Natur.» In seinem neuen Roman schildere Knausgard eine Welt, in der Natur und Menschen nicht mehr im Gleichgewicht seien.
Sibylle Berg ist zurück in der Zukunfts-Dystopie
Der neue Roman der deutsch-schweizerischen Autorin Sibylle Berg klingt nach einer thematischen Anknüpfung an ihren Bestseller «GRM». «RCE» spielt in einer dystopischen Welt, die gar nicht so weit entfernt wirkt. Rechtspopulismus, digitale Überwachung und Kapitalismus regieren Westeuropa. Die Menschen sind «erstarrt in konsumbereiter Ruhe», schreibt der Verlag Kiepenheuer & Witsch. Aber nicht alle: «Nur in einem abhörsicheren Container brennt noch Licht. Hier sitzen Hacker vor ihren Rechnern und coden. Und was sie Schritt für Schritt entfesseln, ist nichts Geringeres als die Weltrevolution.»
Yasmina Reza: Serge, erscheint am 24. Januar bei Hanser, 208 Seiten, ISBN 978-3-446-27292-7
Esther Kinsky: Rombo, erscheint am 14. Februar bei Suhrkamp, 267 Seiten, ISBN 978-3-518-43057-6
Orhan Pamuk: Die Nächte der Pest, erscheint am 14. Februar bei Hanser, 696 Seiten, ISBN 978-3-446-27084-8
Doris Dörrie: Die Heldin reist, erscheint am 23. Februar bei Diogenes, 240 Seiten, ISBN 978-3-257-07184-9
Peter Handke: Zwiegespräch, erscheint am 27. März bei Suhrkamp, 64 Seiten, ISBN 978-3-518-22536-3
Karl Ove Knausgard: Der Morgenstern, erscheint am 11. April bei Luchterhand, ca. 800 Seiten, ISBN 978-3-630-87516-3
Sibylle Berg: RCE, erscheint am 5. Mai bei Kiepenheuer & Witsch, 608 Seiten, ISBN 978-3-462-00164-8