Am Anfang hätten es wohl die meisten nicht für möglich gehalten. Doch nach einer Dekade auf dem Thron schätzen die Belgier ihren König Philippe mehr als gedacht. Obwohl ihn einige wegen seiner ruhigen und zurückhaltenden Art als «graue Maus» beschreiben, wird er als Garant für die Einheit im zerrissenen Land geschätzt.
Statt mit Fehltritten auf sich aufmerksam zu machen, heimste er sich für sein ruhiges Handeln in schwierigen Situationen, gesellschaftlicher sowie privater Natur, Respekt ein. Am Freitag – dem belgischen Nationalfeiertag (21. Juli) – feiert er zehnjähriges Thronjubiläum.
Zurückhaltung und Stabilität
Skandale, wie es sie unter vorherigen Königen im zerstrittenen Land zwischen Nordsee und Ardennen durchaus gab, waren in den vergangenen zehn Jahren Fehlanzeige. Stattdessen hat der 63-jährige Philippe bewiesen, dass Zurückhaltung auch eine Stärke sein kann. «Er ist ein echter Belgier, und das ist das Wichtigste», sagt der Royal-Experte Thomas de Bergeyck vom belgischen Sender RTL.
Belgien ist mit der niederländischsprachigen Region Flandern und der französischsprachigen Region Wallonie sprachlich und kulturell zerrissen. De Bergeyck sagt: «Alle Belgier mögen ihn. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat es keine großen Probleme mit flämischen Nationalisten gegeben, das hat er geschafft.» Fragt man die Belgier zu Philippe, heißt es, er gebe Stabilität – und das sei wichtig.
Genau das ist auch das Ziel der belgischen Monarchie, die laut RTL-Adelsexperte Michael Begasse die einzige ist, bei dem der König offiziell nicht König des Landes, sondern König des Volkes ist. «Philippes Aufgabe ist es, das zerstrittene Königreich mit Flamen im Norden und Wallonen im Süden zusammenzuhalten. Das macht er sehr pflichtbewusst», so Begasse. Was auffalle: Der derzeitige König der Belgier sei im Vergleich zu anderen europäischen Königen «eindeutig der Stillste», sagt Begasse.
Generell sei die belgische Monarchie die unbekannteste Europas. 2020 aber schauten plötzlich alle Royal-Fans in das westliche Nachbarland: Ex-König Albert II. brachte eine uneheliche Tochter in den Palast. Erst nach jahrelangem Vaterschaftsstreit entschied ein Gericht im Sinne der Künstlerin Delphine Boël, machte sie zur Prinzessin – und zu Philippes Halbschwester.
Ruhig und professionell
Philippe regelte die für das Königshaus unangenehme Situation gewohnt ruhig und professionell: Noch vor einem ersten Treffen mit ihrem Vater empfing der König die heute 55-jährige Boël offiziell und begrüßte sie in der Familie. «Er hat klargemacht, sie gehört jetzt dazu, ist mit gutem Beispiel vorangegangen», sagt de Bergeyck. Dafür habe er Hochachtung geerntet.
Die bekam er noch für etwas anderes. Als erster belgischer König drückte Philippe zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit des Kongo sein tiefstes Bedauern für die Grausamkeiten während der belgischen Kolonialherrschaft aus. Nach diesem historischen Eingeständnis reiste er in das afrikanische Land. «Symbolisch war dieses Eingeständnis und diese Reise sicher das Wichtigste in seiner bisherigen Herrschaft», sagt de Bergeyck. Experte Begasse findet allerdings auch: «Ein aktueller Monarch, der sich nicht für die blutige Vergangenheit seiner Vorgänger und seines Landes entschuldigt, hat auf dem Thron nichts zu suchen.»
Die Terrorattacke in Brüssel im März 2016 verurteilte Philippe in einer Ansprache als widerlich und rief dazu auf, den Terror «mit Entschlossenheit, Ruhe und Würde» zu beantworten. Ein Jahr später beeindruckte er viele bei der Gedenkfeier für die Terroropfer, als er sagte: «Wagen wir Zärtlichkeit.» Philippe fand den richtigen Ton.
Große Beliebtheit, hohe Akzeptanz
«Immer wenn es nötig war, war er da», fasst de Bergeyck zehn Jahre König Philippe zusammen. Das habe ihm seine große Beliebtheit verschafft – und die hohe Akzeptanz der Monarchie in Belgien.
Vor allem in Flandern waren die Menschen bei der Inthronisation 2013 sehr skeptisch, ob der farblose Philippe ein gutes Staatsoberhaupt sein könne. Gerade dafür war sein Vater, der ehemalige König Albert II., nicht bekannt: Er galt einst als «Bruder Leichtfuß», seine Frau Paola in den 60ern als «Party-Prinzessin».
Nach Alberts Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen sollte nun also der stille Philippe als siebter König der Belgier das kulturell und sprachlich zerrissene Königreich führen. Der Monarch aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha hat Politik studiert, ist Kampfpilot und Langstreckenläufer. 1999 heiratete er die damalige Gräfin Mathilde (50), eine standesgemäße Hochzeit im europäischen Hochadel.
Die leutselige Mathilde wirkt öffentlich wie die charmante bessere Hälfte des oft steifen Philippe. «Vom Glanz einer Königin wie der niederländischen Máxima ist aber auch das noch meilenweit entfernt», sagt Begasse. Philippe und Mathilde haben vier Kinder. Insbesondere die älteste Tochter und zukünftige Königin Elisabeth (21) erfreut sich größter Beliebtheit.
Der Vermittler
Die politischen Aufgaben des belgischen Königs als Oberhaupt der konstitutionellen Monarchie sind begrenzt, doch hat er eine wichtige Rolle als Vermittler bei der Regierungsbildung. Sie ist in Belgien traditionell kompliziert. Nach der Parlamentswahl 2010 dauerte es unter Albert II. 541 Tage, ehe eine Koalition stand – Weltrekord. Philippe meisterte es bereits zweimal.
Seine nächste Bewährungsprobe erwartet Philippe im kommenden Jahr: Dann wird in Belgien wieder gewählt. Eine äußerst schwierige Wahl wird erwartet. Es gilt als so gut wie sicher, dass der König wieder vermitteln muss. Vielleicht rührt auch daher die breite Akzeptanz für den Palast in Belgien. Experte De Bergeyck sagt: «Die Monarchie ist das am wenigsten schlechte Regime. Vielleicht geht es besser. Aber noch haben wir keine bessere Lösung für Belgien gefunden.»