Nach jahrelanger Corona-Zwangspause gehen wieder die großen Rockfestivals über die Bühne. Jetzt am Wochenende sind es die Zwillingsspektakel «Rock am Ring» in der Eifel und «Rock im Park» in Nürnberg (3.-5.6.).
Die Veranstalter erwarten insgesamt mehr als 160.000 Fans. Rund 70 Bands wollen ihnen einheizen. Headliner sind Green Day, Muse und Volbeat. Doch wenn wieder lange Mähnen auf den jeweils drei Bühnen geschüttelt werden, stecken darunter nur selten Frauenköpfe.
Rein weibliches Protest-Festival
Komikerin Carolin Kebekus (42) will gegen den niedrigen Frauenanteil bei zahlreichen Rockspektakeln mit einem rein weiblichen Festival am Pfingstmontag in Köln protestieren – nur einen Tag nach «Rock am Ring» und «Rock im Park». Schon zum Auftakt dieses Doppel-Open-Airs am Freitag wollen die Band Kochkraft durch KMA und das feministische Musiklabel Ladies & Ladys mit einem weiteren Projekt auf die Männerlastigkeit bei Festivals aufmerksam machen. Als Schirmherrin haben sie Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) gewonnen, vor langer Zeit Managerin der Politrockband Ton Steine Scherben.
24 Acts vorwiegend mit Frauen haben Songs von Männerbands vom diesjährigen oder früheren «Rock am Ring»-Programmen gecovert. Ihr Sampler namens «Cock am Ring» soll von diesem Freitag an auf Spotify und anderen Download- und Streaming-Plattformen zu finden sein, wie Kochkraft durch KMA und Ladies & Ladys mitteilen. Ihre Spanne reiche alphabetisch von Annelu mit «Starlight» von Muse bis Tonbandgerät mit «Lila Wolken» von Materia.
Kritik an Festivals: «Haarsträubendes Übergewicht an Männern»
In der Ankündigung des ehrenamtlichen Projekts ist von einem «haarsträubenden Übergewicht an Männern» bei vielen Festivals die Rede. «Typen, Dudes, Kerle soweit das Auge reicht! Im Durchschnitt liegt der Anteil der Frauen, die bei „Rock am Ring“ auftreten, solide im einstelligen Prozentbereich.» Warum? «Männer buchen Männer», heißt es weiter. Es sei leichter für sie, ihnen schon bekannte Bands zu verpflichten, und das seien eben Männergruppen.
Dabei gebe es keinesfalls zu wenige Rockmusikerinnen von Format. Oder sei, wie Kochkraft durch KMA und Ladies & Ladys ironisch fragen, nur Geldmangel das Problem? Alle Erlöse ihres Samplers würden daher an die Veranstalter am Nürburgring gespendet. «Mit dem Geld können sie sich dann hoffentlich für «Rock am Ring» 2023 etwas mehr diverse Beteiligung leisten», heißt es weiter.
Kebekus: Signal für mehr Sichtbarkeit von Frauen auf Bühnen
Kebekus hat Ende April im Podcast «Talk mit K» des «Kölner Stadt-Anzeiger» gesagt: «Ich bin total oft bei „Rock am Ring“ gewesen und habe wahnsinnig tolle Bands erlebt. Aber wenn man sieht, dass auch in diesem Jahr der Frauenanteil auf der Bühne gegen null geht, kann das einfach nicht sein. Das geht 2022 nicht mehr.» Das Argument, es gebe zu wenige Frauenbands, könne sie nicht mehr hören. «Die muss man nämlich fördern, genau wie männliche Musiker.» Bei ihrem Kölner Festival am Pfingstmontag nur mit Künstlerinnen stehen etwa Lea, die No Angels und Mine auf der Bühne. Um die 5000 Besucher werden laut dem Sprecher von Kebekus erwartet. Auch Männer seien eingeladen. Es gehe um ein Signal für mehr Sichtbarkeit von Frauen auf Bühnen.
«Rock am Ring»-Veranstalter: Viele Frauen fernab der Bühne
Der Chef der «Rock am Ring»-Veranstalterfirma Dreamhaus, Matt Schwarz, erklärt: «Carolin Kebekus hat da ein wichtiges Thema angesprochen, mit dem wir uns auch beschäftigen.» Er verweist auf die Produzentinnen und andere Frauen, die das Festival insgesamt erst ermöglichten: «Wir haben zentrale Bereiche und Führungspositionen bei „Rock am Ring“ weiblich besetzt, von der Veranstaltungs- und Festivalleitung, Ticketing-, Marketing- und PR-Leitung über das komplette Festivalproduktionsbüro, das Akkreditierungsteam und diverse Produktionsleiterinnen der einzelnen Bühnen.»
Schwarz betont: «Wir werden dieses Thema also in Zukunft weiter maßgeblich priorisieren und haben damit in den laufenden Programmplanungen für das kommende Jahr bereits begonnen.» Klar sei jedoch auch, «dass ein Festival Diversität nicht alleine umsetzen kann». Nötig sei dafür das strukturelle Handeln aller Mitspieler wie etwa der Plattenfirmen, Bandmanagements und auch der Medien.
Roth: Künstlerinnen «nötigen Platz im Programm» einräumen
Kulturstaatsministerin Roth wiederum sieht Veranstalterinnen und Veranstalter in der Verantwortung, «den gewandelten Erwartungen in unserer Gesellschaft gerecht zu werden, indem sie viele spannende und erfolgreiche Künstlerinnen gezielt fördern und ihnen den nötigen Platz im Programm einräumen. An den Fans liegt es jedenfalls nicht.» Um etwas zu verändern, sei «jede Initiative wichtig, die Musik von und mit Frauen dezidiert in den Mittelpunkt rückt».
Einen Blitzwandel wird es hier wohl nicht geben. Musiksoziologen und Musikpädagogen verweisen auf sehr traditionsreiche Strukturen. Beispielsweise würden kleine Mädchen eher angehalten, Flöte, Geige oder Klavier statt Schlagzeug, E-Gitarre oder E-Bass zu lernen. Bands würden vorwiegend von Jungs gegründet. Und die Rockmusikbranche sei von männlichen Produzenten geprägt.