Durs Grünbein erkundet in «Der Komet» das Leben seiner Großmutter. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Gerald Matzka/dpa)

Durs Grünbein (61) ist ein Weltenbürger, seit langem in unterschiedlichen Metropolen zu Hause. In seinen Werken jedoch findet er immer wieder in seine sächsische Heimatstadt Dresden zurück. «Die Jahre im Zoo» war ein autobiographisch geprägter Rückblick auf das Leben in der Gartenkolonie Hellerau. Auch sein neues Buch «Der Komet» ist von der eigenen Familiengeschichte inspiriert, stellt diesmal allerdings das Leben seiner Großmutter Dora in den Mittelpunkt.

Die zweite Hauptdarstellerin des Buchs ist die Stadt Dresden zur Zeit des Nationalsozialismus bis zum Untergang in der Bombennacht des 13. Februar 1945, die auch den dramatischen Abschluss des Buches bildet.

Das Werk ist weder als Roman noch als Sachbuch einzuordnen, am ehesten ist es ein Bericht mit fiktionalen Elementen. Vieles basiert zweifellos auf den Erzählungen der Großmutter, meist erleben wir die Welt aus ihrer Sicht, nur selten mischt sich der Verfasser direkt ein. Auf die Weise wirkt das Buch sehr unmittelbar und ergreifend. «Der Komet» ist die Geschichte einer einfachen Frau im NS-Staat somit eine klassische Geschichte von unten.

Dora wird in bescheidensten Verhältnissen im ländlichen Schlesien geboren. Sie wächst in einem lieblosen Elternhaus auf, muss als Kind Ziegen hüten, ihre Bildung wird vernachlässigt. Dann verliebt sie sich in den Schlachter Oskar, einen ebenso schmucken wie bodenständigen jungen Mann. Sie folgt ihm nach Dresden, wo er eine Arbeit in einem der modernsten und größten Schlachthöfe Deutschlands annimmt. Mit nur 16 Jahren wird Dora Mutter, später heiratet sie Oskar und bekommt mit ihm ein zweites Kind.

Für das Mädchen vom Land ist die Großstadt eine Offenbarung. Dresden vereint pulsierende Modernität mit der Schönheit seines barocken Erbes. Zudem bietet ihr die Stadt eine Ungezwungenheit und Freiheit, die sie in ihrer erstickenden Kindheit schmerzlich vermissen musste. Zusammen mit ihrer unkonventionellen Freundin und Nachbarin Trude genießt sie in diesen wenigen guten Jahren das urbane Leben in Parks, Einkaufsstraßen und Gemäldegalerien. Der Lyriker Durs Grünbein setzt hier in fulminanten Beschreibungen seine damals noch unzerstörte Heimatstadt würdig in Szene.

Dora mag zwar eine einfache Frau sein, sie hat aber eine feine Witterung für kommendes Unheil und lauernde Gefahren. Sie spürt, wie der NS-Staat den Menschen immer mehr auf die Pelle rückt, etwa durch Luftschutzübungen mitten im Frieden: «Sie hatte nun einmal, von früh an, diese Ahnung. Jederzeit konnte über sie etwas hereinbrechen, das größer war als das tägliche kleine Alltagsleben. Dann kam ihr wieder der Komet in den Sinn, den damals alle erwartet hatten…»

Der Halleysche Komet, auf den der Autor in seinem Buchtitel anspielt, versetzte 1910 viele Menschen in eine Weltuntergangspanik. Mit ihrer bösen Vorahnung wird Dora recht behalten. Schon bald beginnt der Krieg und Oskar muss an die Front. Weder Dora noch Oskar sind überzeugte Nationalsozialisten, eher im Gegenteil. Oskar, der große Schweiger und Verweigerer, schließt sein Innenleben hermetisch ab. Dora misstraut der großsprecherischen Propaganda und verurteilt die Drangsalierung der Juden, die sie auf den Straßen und im eigenen Haus miterleben muss. Sie sieht sich selbst und überhaupt die kleinen Leute vor allem als passive Dulder übermächtiger Verhältnisse: «Wir sind immer die Dummen gewesen.» Ein Satz, der zum Leitmotiv der Familie wird.

Durs Grünbein rechtfertigt diese Art von Mitläufertum nicht, er verdammt sie aber auch nicht. Er zeigt viel Einfühlungsvermögen in das Leben dieser einfachen Frau, seiner Großmutter, die man in ihrer unverstellten lebenstüchtigen Art sympathisch finden muss. Dieses wunderschön geschriebene Frauenporträt ist nicht nur eine bereichernde Lektüre, sondern auch ein wichtiges Puzzle zur Alltagsgeschichte im NS-Staat.

Durs Grünbein: Der Komet, Suhrkamp Verlag, Berlin, 282 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 978-3-518-43020-0

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