Die Berlinale musste in diesem Jahr ins Internet ausweichen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christoph Soeder/dpa)

Manche reden von «Sofa-Berlinale». Noch sind die Kinos geschlossen und das Filmfestival musste ins Internet ausweichen. An diesem Freitag wird nun bekanntgegeben, welcher Film die höchste Auszeichnung gewinnt.

Gut möglich, dass die Jury einen der wichtigen Preise nach Deutschland vergibt. Aber die internationale Konkurrenz ist stark. Einmal Berlinale im Schnelldurchlauf, bitte.

Überzeugt hat die Tragikomödie «Ich bin dein Mensch», die dritte Regiearbeit von Maria Schrader fürs Kino. Die Geschichte über eine Wissenschaftlerin, die für ein Experiment einige Tage mit einem humanoiden Roboter lebt und sich in ihn verliebt, entwickelt von Szene zu Szene eine immer stärkere Spannung und fesselt bis zum verblüffenden Finale.

«Nebenan», das Regiedebüt des Schauspielers Daniel Brühl, entwirft ein facettenreiches Bild der deutschen Gegenwart zwischen Arm und Reich, Ost und West, sozialem Verantwortungsbewusstsein und purem Egoismus. Die Story über einen erfolgreichen Schauspieler, dessen Leben von einem Nachbarn auf den Kopf gestellt wird, überzeugt als atmosphärisch dichter Psychothriller und als Sozialstudie.

«Fabian oder Der Gang vor die Hunde», die Verfilmung des Romans von Erich Kästner durch Regisseur Dominik Graf, spiegelt das Leben im Berlin des Jahres 1931 vor dem Hintergrund des erstarkenden Nationalsozialismus‘ und zielt damit auf die Gegenwart ab. Denn die Geschichte des Germanisten Jakob Fabian beleuchtet in effektvoller Bildsprache die Fragilität der Demokratie an sich.

Die Dokumentation «Herr Bachmann und seine Klasse» von Regisseurin Maria Speth zeigt über Monate den Alltag einer inklusiven Klasse an einer Schule in einer Kleinstadt. Ihr Lehrer versucht, jeder Persönlichkeit gerecht zu werden. Der Film beeindruckt als Plädoyer für Menschlichkeit.

Der künstlerische Leiter Carlo Chatrian hatte schon vorab zur Auswahl gesagt, das deutsche Kino sei diesmal stark. «Im letzten Jahr hatten wir zwei deutsche Filme im Wettbewerb. Und da meinten manche Journalisten, es seien zu wenige. Und diesmal sind es vier und aus Sicht mancher Journalisten zu viel», sagte er.

Chatrian will nach eigenen Worten die Filme aussuchen, die am besten für den Wettbewerb sind. Seine Auswahl im zweiten Jahr spiegelt erneut eine Vorliebe für kunstvolle Filme, das sogenannte Arthouse-Kino. Insgesamt 15 Filme gehen ins Rennen – und viele der Filmschaffenden stellen die großen Fragen des Lebens.

«Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?» zum Beispiel, ein Film des Georgiers Alexandre Koberidze, der an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin studiert hat, erzählt eine Lovestory mit Bildern voller Weite und Originalität. Nicht nur zeigt er, wie wichtig Sahnetorten im Leben sein können. Er beweist, wie bedeutsam es ist, Momente des Glücks zu erkennen und anzunehmen.

Koberidzes Film fällt aus dem Rahmen des Wettbewerbs. Zum einen, weil er nicht wie andere im Stil eines Kammerspiels erzählt, sondern mit Pathos. Zum anderen, weil er auf die Kraft der Liebe setzt. In der Haltung ähnlich ist «Petite Maman» von der Französin Céline Sciamma, das zärtliche Porträt einer Mutter-Tochter-Beziehung. So aufmerksam zugewandt war auch ihr letzter Film über eine Liebesbeziehung zweier Frauen, «Porträt einer jungen Frau in Flammen».

Oftmals zeigen die Filme im Wettbewerb jedoch eine aus den Fugen geratene Welt. In «Bad Luck Banging or Loony Porn» vom Rumänen Radu Jude wird eine Lehrerin ungewollt zum Internetstar, weil ein Amateurporno mit ihr dort landet. Die Schule beruft ein Treffen mit den Eltern ein – was folgt, gleicht einem Tribunal.

«Memory Box» vom Künstlerduo Joana Hadjithomas und Khalil Joreige befasst sich mit dem libanesischen Bürgerkrieg. «Albatros» vom Franzosen Xavier Beauvois porträtiert einen Polizisten in einer Krise. Der iranische Beitrag «Ballad of a White Cow» setzt sich mit den Folgen der Todesstrafe auseinander. Und der Südkoreaner Hong Sangsoo zeigt in «Introduction» Menschen, die zwar miteinander reden, sich aber nichts zu sagen haben und einander nicht zuhören. Es sind Filme, die Profitgier, Intoleranz und Einsamkeit anprangern.

Was diesmal fehlt, sind nicht nur US-Filmemacher im Wettbewerb. Es sind auch die großen Debatten, die sich auftun, wenn die Zuschauer aus dem Kino kommen. Zum Beispiel über Christian Schwochows Drama «Je suis Karl» oder eine Dokumentation über Sängerin Tina Turner. Nachgeholt werden soll das im Sommer. Neben der Kinokunst gehört auch der Glamour zur Berlinale. Hollywood fehlt bisher. Es ist zu hoffen, dass dies allein der Pandemie geschuldet ist.

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