Bravo-Rufe, Applaus, begeistertes Getrampel: Die Bayreuther Festspiele sind mit einem Publikumserfolg gestartet; die neuen «Meistersinger von Nürnberg» versetzten die Zuschauer in selten einhellige Verzückung. Buh-Rufe waren für Regisseur Matthias Davids und sein Team kaum zu hören – das ist selten bei den Bayreuther Festspielen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach von einer «tollen Inszenierung», tollem Bühnenbild und tollen Künstlern.
Dabei ist das, was da auf der Bühne passiert, arg harmlos und oberflächlich geraten. Davids ist Leiter der Musical-Sparte am Landestheater Linz und gilt als erklärter Experte für die als gemeinhin leichter verdaulich geltende Sparte des Musiktheaters. Auch seine «Meistersinger» haben viel Musicalhaftes: vor allem choreografierte Massenszenen, die dem neuen Bayreuther Chor auch darstellerisch einiges abverlangen.
Davids will zurück «zum komödiantischen Inhalt des Stücks»
Ganz anders als Barrie Kosky, der die «Meistersinger» zuletzt in Bayreuth berührend und hochpolitisch inszenierte, sich dem Dunklen stellte, das dieses Stück in sich trägt und sich an Wagners Antisemitismus abarbeitete, der sich in der Oper vor allem an der Figur des Beckmesser zeigt, macht Davids sich diese Mühe nicht. Er verzichtet ausgerechnet in Zeiten, die politisch so kontrovers und fragil sind wie lange nicht, bewusst auf eine tiefergehende oder gar politische Interpretation der Geschichte.
«Jetzt sehe ich den Zeitpunkt gekommen, zum komödiantischen Inhalt des Stücks zurückzukehren», hatte er der Deutschen Presse-Agentur vor der Premiere gesagt. «Es ist ja immer die Frage: Wie viel Konzept stülpt man einem Werk über, und verschüttet man damit die Story? Die Geschichte ist ja auch so schon kompliziert genug.»
Davids‘ Inszenierung verlegt sich mit einem beeindruckenden Bühnenbild also auf die Optik – und ansonsten auf Oberflächlichkeiten, auf Klamauk, der verlässlich zumindest einige Lacher provoziert und streckenweise zuverlässig unterhält. Wenn in der berühmten, chaotischen Chor-Prügelszene zum Ende des zweiten Aufzugs ein Boxring eingezogen wird, erklingt – wie von Davids gewünscht – hier und da ein Lachen im altehrwürdigen Festspielhaus.
Ebenso, wenn Beckmesser (Michael Nagy) mit Sonnenbrille und Glitzer-Shirt einen verhinderten Glam-Rocker gibt. Kurzweilig ist das, was da auf der Bühne passiert, zumindest streckenweise, wie viele Zuschauer in der Pause treffend bemerken. Aber mehr eben auch nicht. Und das Konzept der ganz, ganz leichten Muse trägt auch nicht ansatzweise über alle wagnerschen Längen hinweg.
Bezeichnend für die Inszenierung ist eine dieser guten, alten, gelben Telefonzellen, aus der ein arg geprügelter Beckmesser am Schluss des Aufzugs taumelt. Darauf steht noch die Nummer der – 2024 abgeschalteten – Auskunft: 11833. Die 90er Jahre haben angerufen.
Auch die Festwiese am Schluss könnte die Kulisse für eine 90er-Party sein. Schrill, bunt, fröhlich und mit speziell verkleideten Zuschauergruppen – darunter Gartenzwerge, eine Kartoffelkönigin und gleich zwei Doubles von Altkanzlerin und Festspiel-Stammgast Angela Merkel (CDU) – erinnert die Szene an den Eurovision Song Contest (ESC). Über allem schwebt eine riesige, bunte Plastikkuh.
Das Rezept der Inszenierung zusammengefasst: Ein bisschen Nostalgie gepaart mit einem ganz großen Schuss Eskapismus. Einfach nicht hinschauen auf den Wahnsinn der Welt, auf die Gefahren für die Demokratie, auf zunehmenden Antisemitismus, Rassismus. Einfach mal Spaß haben. Das ist die Botschaft, die im Jahr 2025 rausgeht vom bekanntesten Opernfestival Deutschlands, das mit seiner dunklen Geschichte doch eigentlich eine ganz besondere gesellschaftliche Verantwortung hat.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) spricht beim Staatsempfang nach der Premiere von einem hohen Stellenwert von Kunst und Kultur. «Wir werden daran nicht sparen.» Autoritäre Staaten beschnitten zuerst die Kunst, weil sie Angst vor der Kreativität hätten, sagte Söder: «Das tun wir nicht.» Vor Inszenierungen wie dieser müsste allerdings wohl auch keine Autorität Angst haben.
Das Bayreuther Publikum stört sich an diesem überaus seichten Ansatz ebenso wenig wie Söder und Merz – im Gegenteil. Es dankt Davids seine Entscheidung weitgehend einhellig. Gefeiert wird Publikumsliebling Georg Zeppenfeld als Hans Sachs, der eine solide Leistung abliefert, aber schon stärkere Tage gehabt hat auf der Bayreuther Bühne. Ähnlich viel Applaus gibt es auch für Michael Spyres und seine hervorragende Leistung als Walther von Stolzing, Christina Nilsson für ihre ähnlich herausragende Eva und Dirigent Daniele Gatti, der bei seiner Bayreuth-Rückkehr den speziellen Orchestergraben völlig im Griff hat.
Erster Auftritt für neuen Chor
Jubel gibt es auch für den neuen Chorleiter Thomas Eitler-de Lint, der einen völlig anderen Chor leitet als sein Vorgänger Eberhard Friedrich jahrzehntelang. Weil die Festspiele sparen müssen, wurde die Zahl der festen Mitglieder des Chores deutlich reduziert – bei Bedarf wird er durch einen «Sonderchor» ergänzt.
Nach diesem überraschend harmlosen und belanglosen Start in die Festspiele 2025 ging es kompliziert weiter: mit Valentin Schwarz‘ umstrittenem «Ring», der in diesem Jahr zum letzten Mal auf dem Grünen Hügel zu sehen sein wird.
Außerdem stehen noch ein «Parsifal» mit Virtual-Reality-Elementen auf dem Spielplan, «Tristan und Isolde» und – für viele Wagnerianer ein Highlight – der «Lohengrin» mit Bayreuth-Rückkehrer Christian Thielemann am Pult.