Jane Fond bei der Premiere des Films «The Second Act» beim Filmfestival in Cannes. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Vianney Le Caer/Invision/AP/dpa)

Eine neue MeToo-Welle, ein Streikaufruf und Gespräche über den Gaza-Krieg: Das aktuelle Weltgeschehen macht auch vor den Filmfestspielen in Cannes nicht Halt. Nach der Berlinale zeigt sich auch in Südfrankreich, wie politisiert der Kulturbetrieb inzwischen ist. Die diesjährige Jury unter dem Vorsitz von «Barbie»-Regisseurin Greta Gerwig hat vor der Eröffnung Stellung zu aktuellen politischen Themen bezogen – und ausgeführt, welche Rolle dem Film dabei zukommt. 

Greta Gerwig: Weitere Gespräche über MeToo sind wichtig

Ein Thema vor dem Start des Festivals war eine zweite MeToo-Welle, die die französische Filmbranche aktuell beschäftigt. Gerwig zeigte sich solidarisch. «Ich denke, dass es nur gut ist, wenn Menschen in der Filmgemeinschaft ihre Geschichten erzählen und versuchen, die Dinge zum Besseren zu wenden», sagte die 40-Jährige in Cannes. 

Die Schauspielerin Judith Godrèche hatte die Debatte im Februar mit ausgelöst, als sie bei der Vergabe der César-Filmpreise über sexuelle Gewalt und Missbrauch in der Filmindustrie sprach. Zuvor hatte sie Anklage gegen zwei bekannte Regisseure wegen Missbrauchs erhoben. Godrèche zeigt in Cannes einen Kurzfilm über sexuelle Gewalt namens «Moi Aussi».

Solidarität mit Streikaufruf

Die Eröffnung der Filmfestspiele wurde von einer Streik-Aufforderung überschattet. Ein Kollektiv hatte vergangene Woche an «alle Mitarbeiter der Filmfestspiele von Cannes und paralleler Sektionen» appelliert, die Vorführungen zu stören. Die Beteiligten der Initiative, darunter etwa Filmvorführerinnen oder Kartenverkäufer, wollen damit auf aus ihrer Sicht prekäre Arbeitsbedingungen aufmerksam machen. 

«Nun, ich unterstütze natürlich die Arbeiterbewegung», sagte Gerwig. «Wir haben das gerade in unseren Gewerkschaften durchgemacht», ergänzte sie in Anspielung auf den Streik der US-Schauspielgewerkschaft, der vergangenes Jahr monatelang die Branche lahmgelegt hatte. «Ich hoffe, dass das Festival und die Arbeiter eine Vereinbarung treffen können, die gut für sie ist», sagte Gerwig.

Kino als Antwort auf Krieg?

Auch auf den Gaza-Krieg wurden die neun Mitglieder der Wettbewerbs-Jury am Dienstag angesprochen. Der italienische Schauspieler Pierfrancesco Favino erinnerte an die Macht des Kinos, um dem Grauen etwas Positives entgegenzusetzen. «Ich denke immer noch, dass eines der friedlichsten Dinge, die wir tun können, darin besteht, nach Schönheit zu suchen», sagte er. 

Die libanesische Schauspielerin und Regisseurin Nadine Labaki sagte: «Ich glaube wirklich, dass eines der Mittel, um etwas an der Situation zu ändern, in der wir alle jetzt leben – und die meiner Meinung nach nicht so toll ist -, die Kunst und das Kino ist. Filme zu machen, die über das, was passiert, auf die richtige Art und Weise und aus der richtigen Perspektive sprechen und vielleicht eine tolerantere Art und Weise vorschlagen, die Dinge wahrzunehmen und sich gegenseitig als menschliche Wesen zu sehen.»

Festivaldirektor will keine kontroversen politischen Aktionen

Die Filmfestspiele Cannes finden vom 14. bis 25. Mai statt. 22 Filme konkurrieren dieses Jahr um die Goldene Palme. Das Festival selbst legt Wert darauf, den Fokus ganz auf die präsentierten Werke zu lenken. Auf befürchtete politische Aktionen angesprochen, hatte Festivaldirektor Thierry Frémaux in einem Pressegespräch abgewunken. «Wir haben beschlossen, ein Festival ohne Kontroversen zu machen», sagte er. Frémaux ergänzte, dass Filme das Medium seien, über das politische Inhalte transportiert werden sollten. «Die Politik ist in Cannes auf der Leinwand zu sehen», sagte er. 

Eröffnungsfilm über den Zustand des Kinos in aktuellen Zeiten

Zur Eröffnung des Festivals erhielt US-Schauspielerin Meryl Streep eine Goldene Ehrenpalme. Anschließend wurde die Komödie «Le deuxième acte» von Quentin Dupieux gezeigt. Der 50-Jährige ist unter dem Pseudonym Mr. Oizo auch als Musiker bekannt. Seine skurrilen Filme zeichnen sich oft durch absurden Humor aus. «Le deuxième acte» ist mit den französischen Schauspiel-Stars Léa Seydoux, Vincent Lindon und Louis Garrel besetzt.

Der Film ist eine Art Meta-Erzählung über den Zustand der Kunst und des Kinofilms in aktuellen Zeiten. Zunächst scheint es um eine Liebesgeschichte zu gehen. Florence (Seydoux) möchte David (Garrell), dem Mann, in den sie verliebt ist, ihrem Vater Guillaume (Lindon) vorstellen. Doch David fühlt sich nicht zu Florence hingezogen. Er versucht einen Freund zu überreden, mit ihr anzubandeln.

Doch die Figuren treten schnell aus ihren Rollen heraus und diskutieren über das Filmprojekt. «Du kannst das nicht sagen, wir werden gefilmt», ermahnt David etwa seinen Freund, als dieser sich abfällig über Trans-Menschen äußert. Es entspannt sich eine Diskussion über Cancel Culture und politische Korrektheit. Später erklärt Guillaume, dass er keine Lust mehr auf den Film habe und keine «blöden kleinen Liebesgeschichten» drehen wolle, während die Welt im Chaos versinke. Doch dann bekommt er einen Anruf, dass er für ein Projekt des berühmten US-Regisseurs Paul Thomas Anderson gecastet worden sei – und ist plötzlich wieder Feuer und Flamme für die Schauspielerei.

Regisseur des Films ist unterdessen kein Mensch, sondern eine Künstliche Intelligenz, die ihre Befehle abgehackt über einen Laptop gibt. «Le deuxième acte» spielt auf humorvolle, wenn auch nicht gerade subtile Weise mit aktuellen Debatten der Kunstwelt. Ein passender Start für das Filmfestival Cannes, auf dem diese Debatten wohl an der ein oder anderen Stelle noch eine Rolle spielen werden.

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