Abgeschiedenheit, Ruhe. Und das Meer. Die Gegend, in der der Dramatiker Jon Fosse aufgewachsen ist, sagt viel über den Menschen Jon Fosse aus.
Seine Kindheit und Jugend verbrachte er in einem kleinen Dorf an einem Fjord an der Westküste Norwegens. Hier fand er Inspiration für seine Prosa und die Theaterstücke, die in 40 Sprachen übersetzt worden sind und die seit Mitte der 90er Jahre auf den großen Bühnen weltweit aufgeführt werden. Seine Landsleute feiern ihn als den erfolgreichsten norwegischen Dramatiker seit Henrik Ibsen (1828-1906, «Peer Gynt», «Nora oder Ein Puppenheim»). Seit Donnerstag ist er ihr neuer Literaturnobelpreisträger.
Stille statt Trubel
Trotz der Berühmtheit zieht Fosse auch als Erwachsener die Stille kleiner Orte dem Trubel großer Städte vor. Seinen Rückzugsort in der Nähe von Bergen etwa oder das österreichische Städtchen Hainburg an der Donau, wo er mit seiner slowakischen Frau zeitweise lebt, um ganz nah an ihrer Heimat zu sein. Es ist seine dritte Ehe, insgesamt hat Fosse fünf Kinder.
Selbst ist der Norweger am 29. September 1959 an besagter fjordgeprägter Westküste geboren und aufgewachsen. Die Sprache – sei es in Lyrik, auf der Bühne oder anderswo – nimmt einen zentralen Platz in Fosses Leben ein. Seinen Romanen und Theaterstücken haftet dabei oft etwas Melancholisches, Düsteres und auch Mystisches an. Sein jüngstes auf Deutsch erschienenes Werk ist der Roman «Ich ist ein anderer» (Rowohlt Verlag).
Nach seinem literarischen Erstlingswerk «Rot, Schwarz» (1983) veröffentlichte Fosse Romane, Gedichtbände, Essaysammlungen und Kinderbücher. Das Religiöse, Mystische in seinen Bühnenstücken kam tief aus ihm selbst. Nach seinem Austritt aus der protestantischen Kirche gehörte er erst den Quäkern an, dann trat er 2013 zum Katholizismus über. Von diesem Wechsel der Glaubensgemeinschaft erzählte er unter anderem in dem 2015 in Norwegen erschienenen Buch «Geheimnis des Glaubens». Im selben Jahr sagte er dem «Deutschlandradio»: «Man kann sich dem Glauben nicht wissenschaftlich nähern. Denn dann existiert Gott nicht. Er ist hinter allem, was existiert.»
Wie sind Fosses Protagonisten?
Fosses Protagonisten sind oft tief deprimiert und mit ihren Lebensplänen gescheitert. «Spirituelle Verlorenheit und Außenseitertum in scheinbar nestwarmen Gemeinschaften» nennt die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» sein Thema 2001. «Regisseure und Schauspieler sind fasziniert von der klaren Sprache, die mit ihren Wiederholungen und Pausen sehr musikalisch wirkt.»
Musik hat Fosse als junger Mensch gemacht, er schrieb selbst Lieder, spielte Gitarre. Später hörte er kaum noch Musik, wie er der «Neuen Zürcher Zeitung» 2014 in einem Interview erzählte, «höchstens Bach». Bei dem, sagte Fosse, drehe er zumindest nicht durch.
Fosse hat bereits eine Fülle an Werken geschrieben und ist vielfach ausgezeichnet worden. Sein erstes Drama auf Deutsch, «Der Name», brachte ihm den Ibsen-Preis und den österreichischen Theaterpreis ein. Erfolgreich waren unter anderem auch seine Stücke «Die Nacht singt ihre Lieder» und «Traum im Herbst». Für «Todesvariationen» bekam er 2002 den skandinavischen Nationaltheaterpreis, bereits 2003 erhielt er ihn dann für sein dramatisches Gesamtwerk.
Öffentliche Auftritte als Belastung
Doch die öffentlichen Auftritte, die mit dem Schaffen am Theater verbunden sind, belasteten ihn. «Jon Fosse ist ein hypersensibler Mensch», schrieb die «NZZ» 2014 über ihn. «Sozialer Druck setzt ihm zu. Öffentlichen Auftritten hielt er früher nur dank Alkohol stand; als er den Alkohol nicht mehr kontrollieren konnte, sondern von ihm kontrolliert wurde, hörte er auf zu trinken – und öffentlich aufzutreten.»
Später widmete sich Fosse mehr der Prosa, aber auch Gedichten. 2014 bekam er den Straßburger Europäischen Preis für Literatur «für sein Gesamtwerk als Dramatiker, Romancier, Dichter und Autor von Essays, wegen seiner starken, anspruchsvollen und innovativen Schreibe in jedem literarischen Genre». Im Jahr darauf erhielt er auch den Literaturpreis des Nordischen Rates.
Seit 2011 kann sich Fosse zum Schreiben auch an einen ganz besonderen Ort zurückziehen. Norwegen hat seinen berühmten Bürger mit der staatlichen Künstlerresidenz «Grotte» am Rande des Osloer Schlossparks beehrt. Das Haus, das ursprünglich dem Dichter Henrik Wergeland (1808-1845) gehörte, wird seit dessen Tod jeweils einem großen norwegischen Künstler auf Lebenszeit zur Verfügung gestellt.