Heinrich Heine würde sich bestimmt freuen. Denn zu seinem 225. Geburtstag erfährt der mutmaßlich am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf geborene Dichter eine ganz besondere Aktualität. Als Zeichen der Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine wurde der renommierte Heine-Preis der Stadt Düsseldorf am Samstag dem ukrainischen Lyriker, Essayisten und Romanautor Juri Andruchowytsch verliehen.
Zwischen ihm und Heine gibt es einige Parallelen. So war es dem nach eigenen Worten «entlaufenen Romantiker» und scharfzüngigen Essayisten Heine stets wichtig, dass Dichtung auch politisch ist. Auch Andruchowytsch ist ein leidenschaftlicher Verfechter der Freiheit und europäischer Werte.
Der 1960 geborene Andruchowytsch wuchs in tiefen Sowjetzeiten in der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk auf. Dort besuchte er eine Schule mit erweitertem Deutsch-Unterricht. Jeden Tag hatte er Deutsch – mit Schwerpunkt Literatur. «Natürlich stand Heine sehr hoch im Schulprogramm», sagt Andruchowytsch der Deutschen Presse-Agentur. Der junge ukrainische Schüler lernte Heines berühmtes Gedicht «Die Lorelei» auswendig, in dem eine sagenumwobene Schöne hoch oben auf einem Rheinfels sitzend mit ihrem betörenden Gesang die Schiffer in den Tod treibt.
Heine als «Dichter Nummer 1» in der Ukraine
Dabei war Heine zu seinen Lebzeiten nie nach Russland gereist und auch nicht in die Ukraine. Vielmehr war der Dichter, der nicht zuletzt wegen seines zotig-pessimistischen Gedichts «Deutschland. Ein Wintermärchen» als eine Art Nestbeschmutzer galt, 1831 nach Paris übergesiedelt. Dort lebte er bis zu seinem Tod nach langem Siechtum in der «Matratzengruft» bis 1856. Dennoch hat Heines vom Freiheitsgedanken beseeltes Werk tiefe Spuren sowohl in Russland als auch in der Ukraine hinterlassen.
Von allen deutschen Dichtern des 19. Jahrhunderts sei Heine am häufigsten ins Ukrainische übersetzt worden, sagt Andruchowytsch. Für die ukrainische Leserschaft vor der russischen Revolution sei er sozusagen «Dichter Nummer 1» gewesen. «Er wurde mehr übersetzt und gelesen als Goethe oder Schiller.» In Russland war es übrigens ähnlich. Kein anderer deutscher Dichter wurde dort mehr verehrt als Heine. Tausende Übertragungen von Gedichten Heines ins Russische gibt es. Er wurde gelesen von Puschkin, geliebt von Lenin und gehörte bisher fest auch zum russischen Kulturerbe.
Auch im Freiheitskampf der Ukraine spielt Heine eine Rolle. «(…) die Freiheit ist vielleicht die Religion der neuen Zeit (…)», schrieb Heine in seinen Reisebildern. Für Andruchowytsch war es daher kein Zufall, dass 2014 bei den Euromaidan-Protesten in Kiew eine riesige Aufschrift an einem abgebrannten Gewerkschaftshaus angebracht war: «Freedom is our Religion» (Freiheit ist unsere Religion). «Das bleibt bis heute aktuell», sagt Andruchowytsch. «Man muss immer wieder betonen, dass Menschlichkeit Selbstrealisierung in Freiheit bedeutet.»
Andruchowytschs Parallelen zu Heine
Wegen seiner spitzen Feder und der Vermischung von Dichtung und politischem Engagement wird Andruchowytsch («Radio Nacht», «Euromaidan») häufig mit Heine verglichen. Erst kürzlich hat er eine Lesereise nach Kiew, Poltawa und Charkiw unternommen und auch Soldaten an der Front besucht. Andruchowytsch selbst lebt weiterhin in Iwano-Frankiwsk im Westen der Ukraine, wo es zwar keine Gefechte und ständigen russischen Raketen- und Artilleriebeschuss gibt wie im Osten oder Süden, aber der Krieg dennoch immer präsent ist: durch Luftalarm, verletzte Soldaten in Krankenhäusern und Flüchtlinge.
Hat Andruchowytsch angesichts des russischen Einmarsches eine Prognose für die Zukunft der Ukraine? «Die einzige Prognose ist, dass die Ukraine in diesem Krieg siegt», sagt er. Wann und wie und unter welchen Umständen, das könne er nicht sagen. «Aber für Russland wird dieser Krieg eine vernichtende Katastrophe sein.»
Der politische Heine
Ein «eminent politischer Schriftsteller» sei auch Heine gewesen, sagt Florian Trabert, Vertretungsprofessor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. «Er war eigentlich der politischste Schriftsteller überhaupt seiner Generation.» So habe Heine anderen Schriftstellern auch vorgehalten, zu unpolitisch zu sein – etwa Goethe.
Heine bereiste zwar England und Italien und zog nach Paris. Im Osten war er dagegen nie. Aber er bekam Informationen von seinem Bruder Maximilian, der Militärarzt in Russland war. «In früheren Jahren hatte Heine eine eher positive Haltung zu Russland, später überwogen kritische Aussagen», sagt Trabert. So erklärte Heine den ultrareaktionären Zaren Nikolaus I. zunächst zum Bannerträger der Freiheit («Gonfaloniere der Freyheit»). Später kam eher die Angst vor einem unberechenbaren Russland auf. In seinem letzten Gedichtzyklus «Romanzero» schrieb Heine pessimistisch: «Rußland, dieses schöne Reich, würde mir vielleicht behagen, doch im Winter könnte ich dort die Knute nicht ertragen.»