Szene aus dem Erfolgsmusical «Hamilton«, das am 6. Oktober Premiere in Hamburg feiert. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Ulrich Perrey/dpa)

Diese Bühne im New Yorker Richard Rogers Theater stellt die Schauspieler vor eine besondere Herausforderung: «Wer zu uns kommt, muss neu laufen lernen», sagt einer der Bühnenmitarbeiter.

In der Mitte des Broadway-Hauses liegt ein sich drehender Kreis von mehreren Metern Durchmesser, um ihn herum ein weiterer kreisender Ring, breit genug, um darauf zu marschieren – oft auch in die entgegengesetzte Richtung. «Man geht los, aber muss lernen, den Fuß an anderer Stelle aufzusetzen, als man es gewohnt ist, um dahin zu kommen, wo man hin möchte», erklärt der Mann weiter.

Mut, neue Wege zu gehen, und eine Belohnung am Ziel sind passende Assoziationen für das Stück, das hier gespielt wird. «Hamilton» hat seit seinen ersten Anfängen 2008 immer wieder nach einem schwer verkäuflichen Wagnis geklungen – und wurde doch zum gigantischsten Broadway-Hit.

Kein Musical-Album hat sich in den USA je besser verkauft, noch immer spielen die acht Aufführungen pro Woche mehr als zwei Millionen Dollar ein, und die einstige US-Präsidentengattin Michelle Obama lobte: «Es ist einfach das beste Kunstwerk aller Formen, das ich je in meinem Leben gesehen habe.»

Ab 6. Oktober kommt zum weltweit ersten Mal eine übersetzte Version auf eine Bühne und bietet in Hamburg drei Stunden Hip-Hop-Historienmusical auf Deutsch. Die Adaption ist eine Mammutaufgabe, denn der Stoff dürfte auf dem Papier vielen Deutschen sehr fern liegen.

Erzählt wird die Geschichte des ersten Finanzministers der USA, Alexander Hamilton, und seiner Weggefährten zur Gründungszeit der Vereinigten Staaten Ende des 18. Jahrhunderts. Es geht um den Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten, um seine Liebe zu mehreren Frauen und um den Streit darum, wie eine demokratische Gesellschaft überhaupt funktionieren kann. Und es geht um die jahrzehntelange Fehde mit dem Mann, der schließlich Hamilton bei einem Duell tötet: Aaron Burr.

Das klingt trocken, ist aber von der ersten Minute an fesselnd, weil die abwechslungsreiche Musik mit einem halben Dutzend Hitsongs begeistert, die energische Choreographie kurzweilig ist, weil eben die dynamische Drehbühne für ein kaum zu entrinnendes Gefühl ständiger Bewegung sorgt. Und weil sich die Macher für einen besonderen Kniff in der Besetzung entschieden haben: Die wichtigsten Rollen aus der Gründungsphase der Vereinigten Staaten sind alle mit nicht-weißen Schauspielern besetzt.

Dadurch hat «Hamilton» seit den ersten Off-Broadway-Aufführungen 2015 eine Frage aufgeworfen, die weit über Theaterkreise hinaus Resonanz fand: Wem erlaubt die US-Gesellschaft, teilzuhaben – und wen drängt sie an den Rand? «Du kannst nicht kontrollieren, wer lebt, wer stirbt und wer deine Geschichte weitererzählt», lautet eine der wichtigsten Textzeilen.

Dass sich das Stück nicht wie drei Stunden Schulfernsehen anfühlt, liegt vor allem an jenem Mann, der durch das Musical zum Superstar wurde und inzwischen für mehrere Disney-Filme den Soundtrack schrieb: Lin-Manuel Miranda, der Erfinder, Autor und ursprüngliche Darsteller der Titelrolle. Trotz des riesigen Erfolgs sagt er, dass es ihm bei neuen Projekten um etwas Anderes geht.

«Immer, wenn ich etwas Neues starte, dann setze ich mir so einen Studenten-Hut auf. Ich denke nicht über Erfolg oder Versagen nach, weil du das nicht steuern kannst», sagt Miranda im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist auch tief im Stück verankert, dass du keine Kontrolle hast, was andere aus deiner Geschichte machen. Das Einzige, was ich kontrollieren kann, ist, was ich in die Welt setze – und was ich aus einem Projekt lerne.»

Diese Lernkurve dürfte auch für das deutsche Team steil gewesen sein. 25 000 Wörter umfasst das Libretto, in der Spitze vorgetragen mit atemberaubenden 144 Wörtern pro Minute. Die Statistikseite Fivethirtyeight hat ausgerechnet, dass es in normalem Musical-Tempo bis zu sechs Stunden dauern würde, den Text abzusingen.

Die Hamburger Produktionsfirma Stage Entertainment hat zwei Übersetzer verpflichtet: den erfahrenen Musicalautor und Dramaturgen Kevin Schroeder, beteiligt unter anderem an «Ich war noch niemals in New York» und «Fack ju Göhte – Das Musical», sowie Sera Finale, selbst eine etablierte Größe der deutschen Hip-Hop-Szene und hinter den Kulissen schon für Rap-Größen wie Deichkind und Cro tätig.

Danach gefragt, ob er Zweifel daran habe, dass sich ein deutsches Publikum auf die sehr US-lastige Story einlässt, sagt Finale: «Eigentlich spiegelt das nur das Stück wider: Hamilton als Charakter hatte keine Chance – und er hat sie genutzt. Dann ging es weiter, und Lin hatte keine Chance mit dem Musical – und er hat sie genutzt. Und jetzt geht es weiter, und wir hatten beim Übersetzen keine Chance – und wir haben sie genutzt.»

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