Statue des dänischen Dichter Hans Christian Andersen in Odense. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Steffen Trumpf/dpa)

An allen Ecken und Enden ist zuletzt noch geschraubt, gebohrt und hergerichtet worden in der Geburtsstadt des vielleicht berühmtesten Dänen der Geschichte: Der Märchenmeister Hans Christian Andersen bekommt im dänischen Odense ein neues Museum, und zwar eines, das andere an Modernität, Architektur und Erlebnis in den Schatten stellen soll.

Das Großprojekt, das umgerechnet mehr als 50 Millionen Euro kostet, erreicht nun seinen Höhepunkt: Am Mittwoch wird das neue H. C. Andersens Hus eröffnet.

Die Fantasie ansprechen

Komplett fertig wird das Museum bis dahin nicht werden, gerade im Museumsgarten muss noch einiges getan werden. In Odense sprechen sie deshalb von einem Soft Opening, also einer Eröffnung, bei der an mancher Stelle noch der letzte Schliff fehlt. Vielleicht ist gerade das im Geiste Andersens: Teils muss der Besucher noch seine Vorstellungskraft bemühen, um das fertige Museum vor sich zu sehen – und was hat Andersen anderes gewollt, als die Fantasie anzusprechen?

H. C. Andersen ist am 2. April 1805 in Odense geboren worden. Viele seiner späteren Märchen fußten auf den Erfahrungen, die er als Kind in der Stadt auf der zentraldänischen Insel Fünen sammelte. Auch in Deutschland zählen seine Werke wie «Die kleine Meerjungfrau», «Die Prinzessin auf der Erbse» und «Das hässliche Entlein», zu den großen Klassikern der Märchenwelt.

Ein Museum voller Fragen

Andersens Märchen sind dabei kaum welche gewesen, die mit einer Moral von der Geschicht‘ endeten. «Andersens Universum liefert selten Antworten. Wenn man am Ende der Geschichte ist, muss man selbst über die Bedeutung nachgrübeln», sagt der Kreativdirektor des Museums, Henrik Lübker. «Er liefert nicht die Antworten, sondern stellt einem die Fragen.» Genau dies solle auch das Andersen-Haus verkörpern. «Das ist kein Museum voller Antworten, sondern ein Museum voller Fragen.»

Lange Zeit hat Odense seinen berühmtesten Sohn mit einem klassischen Museumserlebnis rund um dessen gelbes Geburtshaus gewürdigt. Das ist, nun ja, mit der Zeit etwas altbacken geworden. In dem neuen Museum verschwimmt nun Vieles in- und miteinander: Rechte Winkel findet man kaum, dafür umso mehr runde Hecken und Wege. «Wir mischen das, was draußen und was drinnen ist, was Natur und was Architektur ist», sagt Lübker. Der Besucher soll sich so in einer Welt zwischen Wirklichkeit und Märchen befinden und dabei vor allem eines haben: viel Spaß.

Für den japanischen Architekten Kengo Kuma zeigen Andersens Werke die Gegensätze der Welt auf, etwa Licht und Schatten, Mensch und Tier, Realität und Fiktion. «Unser Ziel ist es, diese Essenz seiner Arbeit in architektonischer und landschaftlicher Form widerzuspiegeln», sagt Kuma. Die architektonische Idee sei an Andersens Ansatz angelehnt, dass sich eine kleine Welt auf einmal zu einem größeren Universum ausdehne. «In diesem Universum gibt es keine hierarchische Ordnung, keine Frontalseite und keine definierte Richtung», so Kuma.

Märchen interaktiv erleben

Das äußere Highlight des Baus soll der Museumsgarten darstellen, von dem ein Teil bewusst so aussehen soll, als wäre er eingesackt. Von dort geht es über einen 110 Meter langen Rundweg hinein ins überwiegend unterirdische Märchen-Universum. Nach und nach schlendert man zunächst am Leben Andersens vorbei, ehe man viele Märchen interaktiv selbst erleben kann: Angelehnt an das eher unbekannte Werk «Der Schatten» kann man sich etwa darüber wundern, dass sein eigener Schatten plötzlich ein Eigenleben erhält, andernorts kann man sehnsüchtige Meerjungfrauen unter Wasser singen hören.

«Wir versuchen, Gefühle in den Leuten zu erzeugen – anstatt ihnen zu sagen, wie sie sich fühlen müssen oder die Erzählung zu sehr zu kontrollieren», sagt Lübker. Die Erbse darf bei diesen Erlebnissen natürlich nicht fehlen, ehe man heutige Literaturgrößen wie J. K. Rowling über Andersens Erbe sprechen hört und schließlich zum gelben Geburtshaus gelangt, das vor der Eröffnung renoviert worden ist.

Odense ist die Andersen-Stadt schlechthin. Statuen vom Künstler begegnen einem im Stadtkern ebenso häufig wie seine Märchen. Selbst eine örtliche Umzugsfirma (Werbespruch: «Wir machen Ihren Umzug zu einer guten Geschichte») hat sich nach ihm benannt. Viele historische Gebäude wechseln sich in der Stadt heute mit modernen Neubauten ab, und genau diesen Spagat soll auch das Andersen-Haus schaffen: Hier das topmoderne Museum, dort das alte, historische Geburtshaus. In dem Haus war bereits 1908 ein erstes Museum zu Ehren des Märchenonkels eröffnet worden, das in der Folge mehrmals ausgebaut wurde.

Die Hoffnung ist, dass mit der neuen Attraktion mehr Touristen in die drittgrößte Stadt Dänemarks kommen – insbesondere deutsche, dessen Landesgrenze nur knapp zwei Autostunden von Odense entfernt liegt. 100 000 Menschen haben das alte Andersen-Haus vor der Corona-Pandemie jährlich besucht, rund 70 Prozent davon aus dem Ausland. Zweitgrößte Besuchergruppe nach den Dänen: Chinesen. Aus diesem Grund sind die Ausstellungstafeln auf Dänisch, Englisch und auf Mandarin verfasst.

Das neue Museum, das mit einer Fläche von 5600 Quadratmetern relativ kompakt ist, soll jedoch auch den Einwohnern von Odense zugutekommen. «Eines der bemerkenswertesten Dinge an dem Museum ist, dass es mitten in der Stadt steht», sagt Kreativdirektor Lübker. «Der Garten ist für die Öffentlichkeit rund um die Uhr geöffnet. Er ist ein Erholungsort innerhalb der Stadt und eine grüne Oase für alle.» Auch das ist an Andersen angelehnt, wie Architekt Kuma sagte. «Seine Botschaft an uns ist: Selbst im Alltag können wir den Traum finden und leben. Das ist eine sehr starke Botschaft für die Menschen im 21. Jahrhundert.»

Copyright 2021, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten, Von Steffen Trumpf, dpa

Von