Ernster Blick, die linke Hand in der Weste, der berühmte Zweispitz auf dem Kopf: Die überlebensgroße Bronzestatue von Napoleon beherrscht den Ehrenhof der Invalidenanlage in Paris.
Ein weiteres Denkmal thront auf der Vendôme-Säule im Herzen der Hauptstadt – der einstige Kaiser der Franzosen ist auch 200 Jahre nach seinem Tod durchaus präsent. Mehrere Seine-Brücken tragen die Namen seiner Siege. Der gewaltige Triumphbogen am Ende der Prachtstraße Champs-Élysées erinnert an Schlachten und Generäle des Feldherrn.
Napoleon starb am 5. Mai 1821 auf Sankt Helena. Auf der unwirtlichen Felseninsel im südlichen Atlantik verbrachte der Mann, der auf dem Höhepunkt der Macht große Teile Europas kontrollierte, seine letzten Jahre in der Verbannung – von Briten bewacht. Der Herrscher, der in seinem Leben alles erreicht und alles wieder verloren hatte, wurde 51 Jahre alt. «Was für ein Roman war mein Leben», sagte er einmal.
Sein Erbe ist im Heimatland umstritten, die Debatte über den gebürtigen Korsen weckt viele Leidenschaften. Kritiker nennen ihn einen Diktator, der mit einem Staatsstreich an die Macht kam. Warum also ein Gedenken, so lautet die Frage. Staatschef Emmanuel Macron will der Geschichte aber nicht aus dem Weg gehen. Der 43-Jährige wird französischen Medien zufolge zum Jahrestag am Mittwoch im Institut de France sprechen und einen Kranz am Prunkgrab Napoleons im Invalidendom niederlegen.
Macron hat eine Art Mini-Gedenkstätte für Napoleon im eigenen Haus. Erinnert wird schon seit langem an eine dunkle Stunde der Macht. Im sogenannten Silbernen Salon des heutigen Präsidenten-Amtssitzes unterzeichnete Napoleon nach der Schlacht von Waterloo 1815 seine endgültige Abdankung. Das Zimmer ist original erhalten, eine Kopie des historischen Dokuments steht warnend auf dem Tisch.
Dem geschichtsbewussten Präsidenten steht ein Drahtseilakt bevor. Für viele gilt Napoleon immer noch als Mann, der mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch («Code civil»), dem Abitur oder der Notenbank Banque de France die Grundlagen für das moderne Frankreich legte. In der Mitte-Regierung gibt es mindestens einen Napoleon-Bewunderer: Bildungsminister Jean-Michel Blanquer sprach in einem Interview in Anspielung auf den berühmten Philosophen von einem «Descartes zu Pferde».
Für andere ist Napoleon ein Totengräber der Französischen Revolution (1789 – 1799), der Errungenschaften wie die Abschaffung der Sklaverei in Überseegebieten zurückdrehte. Warum wurde sie unter Napoleon Bonaparte 1802 wiederhergestellt? Hatte seine damalige Frau Joséphine Einfluss? Sie stammte von einer Plantage auf der Karibikinsel Martinique, wo bis zu 300 Sklaven arbeiteten.
Die US-Professorin Marlene Daut meint, die frühere Kolonialmacht Frankreich sollte lieber ihre Sklavereigeschichte aufarbeiten, anstatt eine «Ikone weißer Überlegenheit» zu feiern. Gemeint ist Napoleon. Er sei kein Held, der geehrt werden sollte, resümierte die Hochschullehrerin von der University of Virginia in der «New York Times». Die Stiftung zur Erinnerung an die Sklaverei in Frankreich tritt moderater auf, meint, dass Napoleon als eine wichtige Figur der französischen Geschichte nicht wegzudenken sei. Der Vorsitzende Jean-Marc Ayrault dringt aber darauf, auch Schattenseiten zu beleuchten. «Wir wünschen, dass beim 200. Jahrestag seines Todes über alles gesprochen wird», fordert der Ex-Premierminister.
Ungeachtet vieler Widersprüche und Fehler fasziniert der Selfmademan Napoleon bis heute viele Menschen. Ein Gradmesser dafür ist auch der Antiquitäten- und Raritätenmarkt, wo euphorisch von einer «Napomania» die Rede ist. Die Preise für Objekte aus dem Besitz des Empereurs («Kaisers»), wie er häufig in Frankreich genannt wird, gehen nach oben. Pünktlich zum Jubiläum wird es in Fontainebleau unweit des berühmten Schlosses eine Auktion geben. Angeboten wird unter anderem ein bemalter Teller, der von Napoleon mit nach Sankt Helena genommen wurde. Das Motiv: Der preußische Herrscher Friedrich der Große mit seinen Windhunden. Der Schätzpreis liegt bei 150 000 bis 200 000 Euro.
«Grandeur» («Größe») – das war ein Markenzeichen von Napoleons Epoche. Sein Reich erstreckte sich 1812 von Lübeck an der Ostsee bis nach Rom am Tiber. Der Herrscher, der sich 1804 zum Kaiser krönte, hinterließ in Frankreich und Europa tiefe Spuren, vor allem mit seinen Kriegen. Die «Grande Armée», in der auch viele Deutsche kämpften, marschierte bis Moskau. Seine Feldzüge forderten nach jüngeren Schätzungen allein in Frankreich bis zu eine Million Tote.
Seit langem wird darüber spekuliert, ob der magenkranke Napoleon auf Sankt Helena vergiftet wurde. Ja, sagte der Autor Pierre Branda im TV-Sender France 5 – aber anders als vielfach angenommen. Ärzte hätten dem prominenten Patienten ganz zuletzt ein Mittel gegeben, das Quecksilber enthalten habe. «Sie haben ihn erledigt», lautet das Fazit des Historikers.