Es ist Weiberfastnacht, und der Kölner Heumarkt ist leer. Nur ein einzelner Mann mit FFP2-Maske läuft über den riesigen Platz. Dabei strahlt die Sonne von einem wolkenlosen Winterhimmel, es ist ideales «Fastelovend»-Wetter. Normalerweise würden hier jetzt Tausende feiern.
Aber diesmal bleibt alles still. Der Karneval fällt aus – das gab’s zum letzten Mal im Krieg und kurz danach. «Mir geht das so ab, dass man sich nicht mal in den Arm nehmen kann», klagt der Kölner Karnevalspräsident Christoph Kuckelkorn. «Das ist an und für sich noch schlimmer als wenn kein Klopapier da ist.»
Während das Rheinland an diesem historisch stillen Tag zur Arbeit trottet, steht Angela Merkel im Berliner Bundestag. Man kann sagen: Karneval war noch nie ferner als in diesem Moment. Die Eiserne Durchhalte-Kanzlerin gibt eine Regierungserklärung ab, statt einem Tusch hört man sachten Applaus. «Es gibt insbesondere auch weiterhin kein milderes Mittel als konsequente Kontaktbeschränkungen», sagt Merkel. Man müsse «achtsam» bleiben. Achtsamkeit, das ist das genaue Gegenteil von dem, was normalerweise in diesen Minuten auf den Straßen von Köln, Düsseldorf und anderen Narrenhochburgen passiert wäre.
«Umso disziplinierter man ist, umso wichtiger ist es, ab und zu auch mal zu eskalieren», sagt Carmen Schenkel, Emotionsforscherin und Geschäftsführerin des Instituts September, das Karnevalisten in tiefenpsychologischen Interviews befragt hat. Corona habe den Menschen «eine Disziplin sondergleichen» abgerungen, sagt sie. «Seit bald einem Jahr versuchen wir, uns zu regulieren und Distanz zu üben. Das ist sehr, sehr schwer.» Langsam mache sich ein apathischer Zustand in der Gesellschaft bemerkbar. «Die Akkus sind aufgebraucht.»
Umso wichtiger wäre es gewesen, jetzt mal für ein paar Tage über die Stränge zu schlagen. Karneval sei dafür ideal, weil es gesellschaftlich akzeptiert sei: «Ein abgesteckter, sicherer Raum, in dem man das darf und von niemandem schief angeguckt wird. Im Mittelpunkt steht der Abbau von Distanz und auch das für uns Menschen so wichtige Körperliche. Man schunkelt sich herrlich raus aus dem Alltag, rein in die psychische Freiheit – und das völlig legitim. Verkleidung und, ja, auch Alkohol helfen einem, die Scheu hinter sich zu lassen.» An dieser Stelle entfährt Schenkel ein Stoßseufzer: «Mein Gott – wie hätten wir das dieses Jahr gebraucht!»
Aber es hat nun mal nicht sollen sein. Der Karneval, laut Schenkel «eines der wichtigsten Ventile für die Psychohygiene», fällt dieses Jahr aus. Jedenfalls fast. Einiges haben die Karnevalisten dennoch auf die Beine gestellt. Die Vereine verschicken zum Beispiel Care-Pakete mit Liederbuch, Orden, Konfetti, Pappnase – ein Überlebenspaket für Karnevalisten. Und vielerorts gibt es Auto-Konzerte und Online-Sitzungen. In der Kölner Lanxess-Arena läuft am Donnerstag den ganzen Tag lang ein Spendenmarathon unter dem Motto «Mer looße üch nit allein!» (Wir lassen euch nicht allein).
Kölns Karnevalspräsident Kuckelkorn, im Zivilleben Bestatter, sieht sich selbst als unverbesserlichen Optimisten. Deshalb kann er sogar der Pandemie etwas Positives abgewinnen: Er glaubt, dass der Karneval aus dieser Prüfung gereinigt hervorgehen könnte – im besten Fall mit weniger Massenbesäufnissen und anderen Exzessen. «Ich glaube, dass sich der Karneval insgesamt verändern wird», sagt er. «Viele Vereine haben sich auf den Kern ihres Wirkens besonnen, das ist eine ganz intensive Auseinandersetzung mit dem Brauchtum.»
Sven I. wird der erste Prinz in der 200-jährigen Geschichte des Kölner Verbandskarnevals sein, der zwei Jahre hintereinander im Amt ist. Wie sicher ist er sich, dass die nächste Saison wieder normal wird? «Da möchte ich mir gar keine Gedanken drüber machen», sagt er etwas ausweichend. «Es heißt ja in Köln: «Et is wie et is und et kütt wie et kütt». Was frei übersetzt so viel heißt wie: Wir nehmen die Situation so an wie sie ist.»
Es ist die große bange Frage im Hintergrund: Wird es denn wenigstens nächstes Jahr wieder möglich sein, zu feiern? In der Corona-Krise hat es schon so viele Rückschläge und Enttäuschungen gegeben. Wenn die Frage an diesem Tag in Köln jemand beantworten kann, dann doch wohl Armin Laschet, Ministerpräsident, CDU-Vorsitzender und in der nächsten Karnevalssaison vielleicht Bundeskanzler. In einem Einspieler beim Spendenmarathon in der Lanxess-Arena sagt er: «Jede Spende ist ein Stück Hoffnung darauf, dass wir unseren Karneval eines Tages – ich hoffe im nächsten Jahr – wieder so feiern können, wie wir es kennen.» Zuversicht klingt anders.