Glamour-Girl Diana Ross war die Berühmtere im Soul-Trio The Supremes – doch Mary Wilson galt als Herz und Seele der weltweit erfolgreichen US-Vokalgruppe.
Und als deren Konstante: Denn Wilson blieb den Supremes als einzige Sängerin vom Anfang der 60er bis zur Auflösung 1977 treu. Für immer im Ohr sind aus dieser Zeit Superhits wie «You Can’t Hurry Love», «Stop! In The Name Of Love», «You Keep Me Hangin’ On» oder der ergreifende Goodbye-Song «Someday We’ll Be Together». Nun ist Wilson mit 76 Jahren gestorben.
Wie US-Medien unter Berufung auf ihren langjährigen PR-Agenten und Freund Jay Schwartz meldeten, starb die Musikerin am Montag völlig unerwartet in ihrem Zuhause in Las Vegas. Die Todesursache war den Berichten zufolge am Dienstag noch nicht offiziell bekannt. Berry Gordy (91), für dessen Musiklabel Wilson lange gesungen hatte, teilte mit, er sei «extrem geschockt und traurig, vom Tod eines wichtigen Mitglieds der Motown-Familie zu hören». Sie sei neben Diana Ross selbst ein echter Star gewesen und habe «das Vermächtnis der Supremes über die Jahre mit viel Arbeit vorangebracht».
Für Gordys Detroiter Plattenfirma, die eingängige afroamerikanische Popmusik in die Charts brachte, schafften The Supremes zwischen 1964 und 1969 zwölf Nummer-eins-Hits in den USA – fast so viele wie die Beatles. Das Trio gilt bis heute als wichtigste sogenannte Girlgroup der Soulmusik und als weibliches Aushängeschild von Motown – neben Stars der schwarzen Musik wie Marvin Gaye, Stevie Wonder, The Jackson Five und Michael Jackson oder The Temptations.
In den sozialen Netzwerken drückten zahllose Fans und viele Musiker am Dienstag ihre Trauer aus – allen voran Wilsons langjährige Mitstreiterin Diana Ross mit Beileid an die Familie. «Ich fühle mich erinnert, dass jeder Tag ein Geschenk ist», schrieb sie auf Twitter. «Ich habe so viele wundervolle Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit. The Supremes werden in unseren Herzen weiterleben.»
Auch Brit-Soul-Star Boy George («Mary Wilson thank you for the music»), Hip-Hop-Produzent Questlove, Popsänger Richard Marx und der frühere Kiss-Gitarrist Paul Stanley, der bald ein Soul-Album veröffentlicht, meldeten sich. «Ich hatte gerade erst am Mittwoch ein einstündiges Zoom-Gespräch mit ihr und hätte mir das nie vorstellen können», so Stanley. «Sie war so voller Leben und Geschichten. Absolut geschockt.» Er fügte hinzu: «Rest in Supreme peace, Mary.»
Die am 6. März 1944 in Greenville im US-Bundesstaat Mississippi geborene Wilson hatte mit Ross und Florence Ballard 1959 zunächst The Primettes gegründet – da war sie gerade mal 15 Jahre alt. Wenig später benannte sich die Gruppe in The Supremes um und hatte mit «Your Heart Belongs To Me» 1962 ersten Erfolg. Dass die nur wenige Tage jüngere Ross bald Leadsängerin und Star des Trios wurde, war eine strategische Entscheidung des mächtigen Motown-Bosses.
«Mr. Gordy sagte: Ich will nur eine von euch nach vorn stellen, das macht es leichter für die Leute», erzählte Wilson vor einigen Jahren dem «Las Vegas Magazine». «Wir verstanden das. Wir wollten nur berühmt sein, also waren wir total happy.» Als schwarzer Mensch habe man damals in den USA «doch gar nicht davon träumen können, ein Star zu sein», sagte die für Bürgerrechte engagierte Sängerin in einem Fernsehinterview. «Es ging nur darum, ein menschliches Wesen zu sein, respektiert und gleichgestellt zu werden.»
Aber diese Jahre seien magisch gewesen, «und ich wusste immer, das wir auf ewig da sein würden». Ross verließ das Trio 1970 für eine ebenfalls enorm ertragreiche Solokarriere («Upside Down», «Muscles»), Wilson machte noch einige Jahre in wechselnden Supremes-Besetzungen weiter, heiratete und bekam drei Kinder. In ihrem sehr gut verkauften Erinnerungsbuch «Dreamgirl, My Life as a Supreme» (1986) setzte sie sich kritisch mit der Girlgroup-Geschichte und Motown auseinander.
2019 präsentierte die stets stilvoll auftretende Künstlerin den Band «Supreme Glamour» voller persönlicher Geschichten und Modefotos. Und noch mit 75 nahm sie an der ABC-Tanz-Castingshow «Dancing With The Stars» teil – umso überraschender kam nun die Todesnachricht. Der mit Wilson gut bekannte ABC-Fernsehjournalist George Pennacchio erzählte am Dienstag, sie habe an neuen Projekten für 2021 gearbeitet – inklusive einem Album, das sie kürzlich schon auf YouTube angekündigt habe. «Ich hoffe, an meinem Geburtstag 6. März wird etwas herauskommen», sagte Wilson in einem Video.
Die Solo-Musikkarriere dieser fabelhaften Soulsängerin war zuvor nicht allzu spektakulär verlaufen: 1979 brachte Wilson eine Platte heraus – in die «Rock and Roll Hall of Fame» wurde sie 1988 aber als Gründungsmitglied der Supremes und eine der erfolgreichsten Motown-Musikerinnen der 60er und 70er aufgenommen.