«Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun», betete Jesus am Kreuz. So sollten seither alle Christen denen vergeben, die Leid verursacht haben. Eine interessante Frage bleibt dabei.
«Kann der Mensch sich selbst vergeben?», formuliert es die Diakonin (Adele Neuhauser, «Tatort») im reichlich pathetisch wirkenden Filmdrama «15 Jahre». Eine ihrer Schutzbefohlenen, die hochbegabte Pianistin Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung, «Monte Verità»), vermag mit solchen Gedanken nicht wirklich etwas anzufangen. Obwohl sie eigentlich Halt in der Religion sucht. Doch die nicht mehr ganz junge Frau ist voller Wut im Bauch.
Ausgezeichnete Vorgeschichte
Und sinnt auf Rache an ihrem früheren Geliebten (Albrecht Schuch, «Im Westen nichts Neues»), dem sie die Schuld am Tod des gemeinsamen Babys gibt. Für den inzwischen gefeierten Rockstar hatte Jenny die Verantwortung für einen Mord auf sich genommen. Dafür kam sie nicht nur für lange Jahre ins Gefängnis. Dort hat sie durch Fehler anderer auch ihr Neugeborenes verloren.
Wem diese Vorgeschichte bekannt vorkommt: Unter dem Titel «Vier Minuten» hatte der Regisseur und Autor Chris Kraus («Die Blumen von gestern») sie 2007 in die Kinos gebracht.
Und damit nicht nur Preise eingeheimst – wie etwa den Deutschen Filmpreis in Gold als bester Spielfilm. Sondern auch der aufwühlend vielschichtig agierenden Hauptdarstellerin Herzsprung zum Durchbruch verholfen.
Finanziell spielte das tiefgründige Werk mit Monica Bleibtreu (1944-2009, «Die Manns») als kongenialer Gegenspielerin Jennys in mehr als 20 Ländern insgesamt gut neun Millionen US-Dollar ein. Nun also die Fortsetzung, die im Herbst in Anwesenheit von Regisseur und Hauptdarstellern bereits die 57. Internationalen Hofer Filmtage eröffnet hat.
Film kann nicht komplett überzeugen
«15 Jahre» begleitet mit Staraufgebot in teils surreal anmutenden Bildern und versehen mit vielen Rückblenden die angeschlagene und verquollen aussehende Protagonistin auf ihrem Weg nach dem Knast. Auf dem sie sich vor allem selbst das Leben schwer macht.
Unterstützung weist Jenny meist barsch und in unflätigen Worten ab. Sie schlägt ihre Mitbewohnerin (Stefanie Reinsperger, «Tatort»), die wie sie zwecks Resozialisierung in einer Reinigungskolonne arbeitet. Auch dem Musikwissenschaftler Harry (Christian Friedel, «Babylon Berlin»), der ihr helfen will, wieder auf die Beine zu kommen, begegnet sie ungnädig.
Als sie bei Harry und seiner Frau (Katharina Schüttler, «Das Weiße Haus am Rhein») einen syrischen Musiker (Hassan Akkouch, «Alle wollen geliebt werden») kennenlernt, der im Krieg einen Arm verloren hat, aber trotzdem optimistisch auf die Welt guckt, scheint plötzlich die Chance einer Liebe aufzukeimen. Doch Jenny wirft ihm erstmal ein «Fick dich ins Knie» an den Kopf.
Dafür provoziert sie in einer zynisch daherkommenden TV-Talent-Show für Menschen mit Behinderung eine Wiederbegegnung mit ihrem einstigen Freund und Peiniger. Es kommt zum intimen Duell auf Leben und Tod – obwohl Jenny erfahren hat, dass der Rockmusiker, der sich Gimmiemore nennt, schwer an Krebs erkrankt ist. Und Vater eines kleinen Kindes ist, das er über alles liebt.
Den Besuch lohnt diese Fortsetzung einer einst Furore machenden Geschichte wohl vor allem wegen der einmal mehr faszinierenden Hauptdarstellerin, die ein wahres Höllenfeuer im Inneren ihrer Figur spürbar macht. Hannah Herzsprung dabei zuzusehen, hält einen die fast zweieinhalb Stunden lang bei der Stange.
Ansonsten dürfte «15 Jahre» in seiner bei aller Ambitioniertheit vom Drehbuch leider vorgegebenen Plakativität auf Zuschauer teils eher langweilig wirken. Oder aufgesetzt – wie bei der Befreiung eines Löwen auf einem Flughafen durch die verzweifelte Jenny. Einen Anstoß, über menschlich so essenzielle Themen wie Rache und Vergebung nachzudenken, könnte Kraus‘ Filmdrama jedoch allemal bedeuten.